Im Namen der roten Rose
Kolumbianische FARC-Guerilla will als FARC-Partei die politische Landschaft von links aufmischen
Vieles wird neu, das Akronym FARC bleibt: Statt für Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) steht es künftig für Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común (Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes). Mit dem Wandel von der FARC-Guerilla zur FARC-Partei haben rund 1200 Delegierte aus allen Landesteilen und Einheiten der einstigen Rebellengruppe einen weiteren Schritt im kolumbianischen Friedensprozess vollzogen. Vier Tage lang hatten sich ehemalige Guerilleros, aber auch mehrere hundert ehemalige Milizionäre und Intellektuelle unter dem Motto »Für eine Übergangsregierung zur Versöhnung und Frieden« in einem großen Kongresszentrum im Zentrum der Stadt versammelt, um neben dem neuen Namen und Symbol, einer roten Rose, unter anderem die Parteistatuten, die ideologische Ausrichtung und ein erstes Eckpunkteprogramm zu diskutieren. Zudem wurden die Listenplätze für die Kongresswahlen 2018 festgelegt, bei denen sich die FARC erstmals zur Wahl stellt. Je fünf Sitze im Senat und Repräsentantenhaus werden sie laut den 2016 geschlossenen Friedensvereinbarungen von Havanna mindestens besetzen.
Angeführt werden die Listen für die Kongresswahlen laut eines Parteitagsbeschlusses von Iván Márquez und Pablo Catatumbo, zwei altbekannten Mitgliedern des FARC-Sekretariats, dem ehemals höchsten Führungsorgan der Guerilla.
Organisatorisch ähnelt die neue Partei der alten Kaderstruktur der Guerilla. Ausgehend von kleinen lokalen Zellen, sogenannten Comunas, soll eine alle vier Jahre zusammentretende Nationalversammlung einen mit 111 Mitgliedern deutlich erweiterten Generalstab wählen, aus dem ein zehnköpfiges Führungsorgan hervorgeht, das die Geschicke der Partei lenken wird.
In den Tagen zuvor war es laut Berichten von Teilnehmern in den unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Arbeitsgruppen und Plenarsitzungen zu lebhaften bis teils heftigen Debatten zwischen den Delegierten gekommen. Konfliktstoff boten unter anderem der neue Namen der Partei, ihr Symbol sowie auch die ideologische Ausrichtung. Nicht nur trafen die vom modernen Großstadtleben geprägten, im Untergrund agierenden Kader und ehemalige vom Alltag im Krieg geprägten Guerilleros aus sehr abgelegenen Landesteilen aufeinander. Auch innerhalb des FARC-Sekretariats scheint es sehr unterschiedliche Auffassungen über die Ausrichtung der Partei zu geben.
Während einem Flügel um den bisherigen Oberkommandierenden Rodrigo Londoño, besser bekannt als Timoleón Jiménez, eine Partei vorschwebt, die im Hinblick auf die Umsetzung der Friedensvereinbarungen von Havanna offen für die Zusammenarbeit mit den etablierten Parteien ist und sich programmatisch öffnet, will ein dogmatischerer Flügel der 1964 entstandenen, vom Marxismus-Leninismus geprägten Organisationen um Iván Márquez die Unabhängigkeit der Partei und ihre revolutionäre Ausrichtung beibehalten.
Der Beschluss, das Kürzel FARC beizubehalten, gilt Beobachtern als Sieg Letzterer. Kritiker hatten argumentiert, dieser sei zu sehr mit einem Stigma in der kolumbianischen Bevölkerung behaftet, um damit politisch erfolgreich zu sein. Bereits seit Monaten bemüht sich die FARC mit Werbespots und einem insgesamt moderneren Auftreten, ihr schlechtes Image in der Bevölkerung zu verbessern. Ex-Präsident Ernesto Samper (1994-1998) rief in seiner Ansprache am Donnerstag die Delegierten auf, eine für die jungen Menschen attraktive Partei zu gründen, und nicht in ihren Gründungsmythen zu verharren. »Gründet eine Partei, die die Realität kennt, die in die Zukunft blickt und die nicht die Uhr der Geschichte zurückdrehen will. Die jungen Menschen wollen nichts von Kämpfen hören, an denen sie nicht teilgenommen haben.«
Lange Diskussion gab es in diesem Zusammenhang auch um das Parteistatut. Hierin ist nun nicht, wie in der Vergangenheit üblich, von der »Orientierung an marxistisch-leninistischen Prinzipien« die Rede und auch die Begriffe Kommunismus und Sozialismus finden keine Erwähnung. Allerdings soll die »Überwindung des Kapitalismus« weiter ausdrücklich politisches Ziel der FARC bleiben.
»Unsere Organisation ist sehr groß und vielfältig und hier auf diesem Kongress kreuzen sich nach mehreren Jahrzehnten erstmals die Wege vieler Kameraden, deren Realität während des Krieges sehr unterschiedlich war«, sagte ein Mitglied der städtischen Milizen gegenüber »nd«, das seinen Namen aus Sicherheitsgründen nicht in der Zeitung lesen will. »Es ist eben schwer, 53 Jahre Kampf in nur vier Tagen zusammenzuführen.«
Neben Grundsätzlichem kamen in den einzelnen Arbeitsgruppen aber auch Themen wie die Position zur Drogenpolitik oder Gender- und LGBTI-Fragen zur Sprache. (LGBTI: englische Abkürzung für Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Transsexuell/Transgender und Intersexuell) »Diese Themen scheinen, wie man das vermuten könnte, hier nicht als Nebenwiderspruch behandelt zu werden«, sagte ein Beobachter dem »nd«. Ein vollständiges Parteiprogramm wurde allerdings nicht beschlossen, sondern lediglich ein Art Eckpunkteprogramm. Kurzfristiges Ziel der neuen Partei wird es sein, bei den Kongress- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr dabei zu helfen, eine so genannte »Übergangsregierung« zu stützen, die die Umsetzung der Friedensvereinbarung von Havanna fortsetzt. Bisher geht sie nur schleppend voran. Als wahrscheinlichster Präsidentschaftskandidat gilt Humberto de la Calle, der die Friedensverhandlungen im Auftrag der Regierung von Präsident Santos geführt hatte. Santos selbst darf aus Verfassungsgründen nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.