FARC-Guerilla feiert ihren zivilen Neuanfang
Neue Partei mit vielen alten Gesichtern an der Spitze / Gründungskongress wird von Musikkonzert gekrönt
Der Neubeginn fiel feierlich aus. Mit einem großen Konzert auf der Plaza Bolívar, dem zentralen Platz in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, hat die ehemalige Rebellengruppe FARC die Gründung ihrer neuen Partei FARC (Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes) gefeiert. »Wir wollen mit euch zusammen ein neues Land aufbauen. Ein Kolumbien ohne Hass. Ein Land, in dem niemand mehr verfolgt und getötet wird, weil er anders denkt«, rief der ehemalige Oberkommandierende Rodrigo Londoño alias »Timoleón Jímenez« der Menschenmenge zu, die sich neben den mehr als 1000 Delegierten des Parteigründungskongresses auch aus Studenten, Touristen und anderen Interessierten zusammensetzte, die teils wegen der nationalen und internationalen Musikstars gekommen waren, die die FARC verpflichtet hatten.
Dass ein FARC-Kommandeur vor Tausenden Anhängern im Herzen Bogotas spricht, hat nach mehr als 50 Jahren bewaffneten Kampfes große Symbolkraft. »Heute sind wir eine neugeborene Partei, in nicht allzu ferner Zukunft werden wir Abermillionen in einem neuen Kolumbien sein«, sagte »Timo«, während große Scheinwerfer das neue Parteisymbol, eine rote Rose, an die Fassade des Parlamentsgebäudes warfen, in der ab 2018 mindestens zehn Abgeordnete der FARC sitzen werden. Laut einer aktuellen Gallup-Umfrage haben mindestens 80 Prozent der Kolumbianer ein negatives Bild von der FARC, doch schneiden die Ex-Rebellen damit immer noch besser ab als alle etablierten Parteien. Ob für die Kongress- und Präsidentschaftswahlen eine wie von Londoño vorgeschlagene Koalition unter anderem mit der traditionell zerstrittenen Linken möglich ist, müssen die kommenden Monate zeigen.
Parteiintern aber scheint es bereits zu rumoren. Unter der Hand gestehen nicht wenige Ex-Guerilleros an Rande des Konzerts, dass sie die mit der Regierung ausgehandelte Friedensvereinbarung und den Demobilisierungsprozess sehr skeptisch sehen. Grund dazu haben sie genug. Nicht nur hat sich die historische Erfahrung, dass das Establishment nicht Wort hält, tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Auch die nur langsam beginnende Umsetzung des Friedensvertrages und die anhaltende Ermordung von sozialen Aktivisten und teils ehemaligen FARC-Mitgliedern, hinter denen paramilitärische Kräfte vermutet werden, schüren das Misstrauen. »Mir hat es einen großen Schlag versetzt zu sehen, dass wir innerhalb der FARC in Bezug auf den historischen Schritt in die Legalität sehr unterschiedlicher Auffassung sind«, sagt Gabriel Angel, ein Berater des bisherigen Oberkommandieren Londoño gegenüber dem »nd«. Londoño selbst musste bei der Wahl zum 111-köpfigen Führungsorgan der neuen Partei eine Schlappe hinnehmen. Er erhielt lediglich die fünftmeisten Stimmen. Neuer Parteivorsitzender an der Spitze eines zwölf bis 15-köpfigen Parteivorstands der sich nach »nd«-Informationen aus den Meistgewählten zusammensetzt, würde demnach Luciano Marín alias Iván Márquez werden, der die meisten Stimmen der Delegierten erhielt und dessen Flügel im Gegensatz zum Lager um Londoño auf die Eigenständigkeit der neuen Partei pocht.
Nicht nur mit der Wahl des alten und neuen Namenskürzels, auch personell bleibt es bei Altbekanntem. Die Delegierten wählten die eher vom bewaffneten Kampf geprägten Führungsfiguren des ausschließlich männlich besetzten FARC-Sekretariats, dem früheren Führungsorgan, auch an die Spitze der neuen Partei. Hinzu kommen andere ehemals hochrangige Kommandanten sowie altgediente Rebellen fortgeschrittenen Alters, die teils die Gründung der ältesten Guerillagruppe Lateinamerikas anno 1964 miterlebt haben. Hingegen sind weniger als ein Viertel der Mitglieder des neuen Führungsorgans Frauen, unter denen sich auch die Niederländerin Tanja Nijmeijer befindet. Nijmeijer, Kampfname »Alexandra Nariño«, ist seit 2002 Mitglied der kolumbianischen FARC-Guerilla und war Mitglied der Delegation, die mit der kolumbianischen Regierung in Havanna erfolgreich über ein Ende des fast 50-jährigen Konfliktes verhandelte.
Über hintere Listenplätze stoßen aus der Zivilgesellschaft einige wenige Akademiker und Intellektuelle sowie soziale Aktivisten und Menschenrechtler aus der FARC nahestehenden studentischen, kleinbäuerlichen und gewerkschaftlichen Organisationen hinzu. Diese Zivilisten, deren Zugehörigkeit zur FARC aus Sicherheitsgründen bislang oft geheim war, gelten dem Vernehmen nach ebenso wie mehrere Frauen wie Victoria Sandino und Fany Orrego, die sich unter anderem für die anti-patriarchale und feministische Ausrichtung der Partei stark machen, auch als mögliche Kandidaten auf die Kongresssitze der FARC in der kommenden Legislaturperiode.
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