Post-G20-Strategie? SEK-Einsatz gegen linke Demo in Wurzen

Grünen-Sprecher: Präsenz der Spezialkräfte war »Gewaltdrohung« / Antifa-Bündnis berichtet von Hitlergrüßen / Linkspartei fordert Aufarbeitung

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ist es nur eine »unglückliche Verquickung« oder der »Auftakt für eine Post-G20-Strategie« des Einsatzes von Spezialeinsatzkommandos gegen linke Demos? Juliane Nagel ist sich nicht sicher. Zusammen mit 400 Antifaschisten war sie am Samstag nach Wurzen gekommen, um in einem jahrelangen »Schwerpunkt neonazistischer Gewalt« auf selbige aufmerksam zu machen.

Rote Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt hatte die Demonstration für das bundesweite Antifa-Bündnis »Irgendwo in Deutschland« angemeldet. Das geschah schon Monate vor den Ausschreitungen beim G20-Gipfel, erzählt die Leipziger Linkspartei-Abgeordnete. Im Kooperationsgespräch habe der Anmelder betont, er wolle eine friedliche Demonstration. Das Landratsamt in Borna erwartete daraufhin 250 Teilnehmer.

Doch nach dem G20-Gipfel in Hamburg machten konservative Politiker und Wurzener Bürger gegen vermeintlich zu erwartenden Krawall mobil: Ein lokaler rechter Hooligan meldete eine Gegendemonstration an, Einwohner verbarrikadierten ihre Geschäfte mit Holzplatten. Vor zwei Wochen fuhr die Polizei schon einmal einen Wasserwerfer Probe durch die engen Kopfsteinpflasterstraßen der sächsischen Kleinstadt und stufte die Demonstation als »Großereignis« ein, »nicht alleine«, aber auch wegen der Personalie Blechschmidt, so die Polizeidirektion Leipzig gegenüber »nd«.

Gleich fünf Wasserwerfer und »mehrere Hundertschaften« - genauer will Polizeisprecher Uwe Voigt auch im Nachhinein aus »einsatztaktischen Gründen« nicht werden - bot die Polizei deswegen am Sonnabend auf. Außerdem wurden die anreisenden Antifaschisten von einem SEK-Kommando begrüßt. Die Spezialkräfte halte man bei Großlagen eigentlich immer im Hintergrund bereit, sagt Voigt.

Jule Nagel jedoch kann sich jeodch nicht an die Präsenz von Spezialkräften, selbst bei »wirklichen Großdemonstrationen wie ‘Legida’« in den letzten Jahren erinnern. Während Polizeisprecher Voigt die Sichtbarkeit des SEK bedauert und diese damit quasi zum zufälligen Einsatzfehler erklärt, vermutet Nagel eine Machtdemonstration: »Ich denke, dass das Politik der Polizei war dort so aufzutreten«.

Der sächsische Grünen-Sprecher Jürgen Kasek bezeichnete die SEK-Präsenz am Sonntag als »unangemessene Gewaltdrohung« der Polizei. Auch andere Beobachter befürchten, dass das demonstrative Zurschaustellen des SEK bei einer Demonstration Auftakt für eine »post-G20 Strategie« der Kriminalisierung linken Protests sein könnte.

Direkt beim Start und im Verlauf der Demonstration hingegen zeigte sich die »rassistische Normalität«, gegen die die angereisten Antifaschisten protestieren wollten. Immer wieder kam es laut Veranstaltern zu Hitlergrüßen durch am Rand stehende Rechte. Die daneben stehenden Polizisten hätten sich laut einer Mitteilung der Organisatoren für »nicht zuständig« erklärt. Außerdem hätten Neonazis immer wieder versucht, Demonstrationsteilnehmer anzugreifen. »Hier waren die Wurzener Zustände für alle sichtbar,« sagt Sandra Merth von »Irgendwo in Deutschland«. Die Initiative wollte unter anderem auf ein Neonazi-Label, rassistischer Übergriffe in einer Schule sowie auf Geflüchtete in der »Rassisten-Hochburg« Wurzen aufmerksam machen.

Von »keinerlei gewalttätigen Auseinandersetzungen« und fünf Anzeigen gegen rechte Gegendemonstranten, darunter eine wegen eines Hitlergrußes, berichtet hingegen die Polizei. Er selbst sei bei der Demonstration mitgelaufen und habe »keine weiteren Hitlergrüße« gesehen, sagt der Sprecher der Polizeidirektion Leipzig.

LINKEN-Politikerin Nagel bezweifelt das. Es sei außerdem »unverständlich«, wieso die vielen Polizeikräfte die rechten Gegendemonstranten so nahe an die Antifa-Demonstration herangelassen hätten. Sie hat bereits zwei Kleine Anfragen an die sächsische Staatsregierung zum Polizei- und der SEK-Präsenz gestellt und verspricht: »Es wird eine Aufarbeitung geben«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.