Stephan Weil auf Angriff gebürstet
SPD-Kandidat zur Landtagswahl in Niedersachsen: Die CDU hat Tricks, aber wenig Anstand
Verrat am Willen der Wähler habe die Landtagsabgeordnete Elke Twesten begangen, als sie von den Grünen zur CDU wechselte. Stephan Weil bekommt Applaus, als er dies vor den Delegierten der Niedersachsen-SPD auf deren Sonderparteitags in Hannover konstatiert. Noch immer angefressen von jenem Übertritt, der Rot-Grün die Einstimmenmehrheit gekostet hatte, zeigt sich der Ministerpräsident und SPD-Landeschef kämpferisch, manchmal richtig böse, auf diesem Treffen. Zumindest merklich aggressiver als im Parlament.
An diesem Sonntag aber ist der 58-jährige Jurist auf Angriff gebürstet, und im verbalen Fadenkreuz seiner einstündigen Rede hat er die CDU. Dass sie im Hintergrund die Fäden gezogen habe beim Twesten-Übertritt, so sehr sie es auch bestreitet - das bewegt Weil zum Erinnern an ein für die SPD katastrophales Jahr: 1976.
Obwohl die Union keine Mehrheit besaß, war der CDU-Mann Ernst Albrecht damals zum Ministerpräsidenten gewählt worden - wohl mit Stimmen unbekannter »Dunkelmänner« aus den Reihen der SPD, wie es seinerzeit hieß. Weil sieht Parallelen zur Causa Twesten, er erkennt darin »einen Teil des christdemokratischen Erbguts in Niedersachsen«, wie er auf dem Parteitag sagt. Und auch für die aktuelle Führung der CDU gelte: »Sie haben viele Tricks drauf, aber wenig Anstand«.
Den habe die Union auch im Umgang mit dem Thema Asylbewerber nicht gezeigt, gibt der Redner zu verstehen, als er resümiert: Ganze Tagesordnungen des Landtags seien von der CDU »gespickt gewesen mit dem Schüren von Ängsten vor Ausländern und Flüchtlingen«.
Seinen Herausforderer, den CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann, nimmt der SPD-Chef unter anderem im Rückblick auf die schwarz-gelbe Regierungszeit von 2013 aufs Korn. Als Kultusminister hatte der Unionspolitiker seinerzeit in Niedersachsen das umstrittene »Turboabitur« eingeführt, das nach nur acht Jahren Gymnasium mit einem Abschluss winkte, aber vor allem wegen der hohen Belastungen der Schülerinnen und Schüler auf herbe Kritik gestoßen war. Rot-Grün habe es abgeschafft, bemerkt Weil.
Irgendwann im Verlauf seiner Ansprache fällt er kurz und knapp zusammenfassend sein Urteil über CDU und FDP: »Schwarz-Gelb ist schlecht für Niedersachsen.« Das aber ist der einzige Hieb in Richtung der Liberalen. Darüber hinaus bleiben sie, anders als ihr schwarzer Oppositionspartner, von Weilschen Attacken verschont. Weshalb? Peilt der Sozialdemokrat eine Ampel-Koalition an? Bei der FDP werde ein solcher Vorschlag wohl kaum Gefallen finden, wollen Insider wissen.
Doch wie will Weil sonst regieren - und das möchte er bekanntlich weiter mit den Grünen - angesichts aktueller Umfragewerte? Nur 31 Prozent darf die SPD, nur 8 die Grünen erwarten. Reicht nicht für eine Neuauflage des Bündnisses. Eine große Koalition mit der CDU, der 39 Prozent der Stimmen prognostiziert werden? Stephan Weil als Juniorpartner unter einem Regierungschef Althusmann? Schwer vorstellbar, dass der Sozialdemokrat das mitmacht.
Ihm liegt aber nicht allein die Union im Magen, sondern auch die AfD. Immerhin sagt ihnen die jüngste Umfrage 8 Prozent in Niedersachsen voraus. Ihr Vizechef Alexander Gauland, so Stephan Weil, spreche mittlerweile »die Sprache der Nazis«. Das sei deutlich geworden, als der Rechtspopulist vorschlug, die Migrationsbeauftragte Aydan Özoguz in Anatolien zu »entsorgen«. »Es wäre wunderschön, wenn es am Wahltagsabend heißt: In Niedersachsen kommt die AfD nicht in den Landtag«, ruft Weil seinen Genossen zu, und: »Das muss unser Ziel sein«.
Zu den wesentlichen Zielen der SPD für ihre Arbeit nach der Wahl zählen beispielsweise kostenfreie Bildung, kostenfreie Kitas, mindestens 25 000 neue Sozialwohnungen und starke finanzielle Unterstützung der Kommunen. Einmütig verabschieden die Delegierten das Regierungsprogramm, und einmütig küren sie dann auch den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl: natürlich Stephan Weil.
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