Zahl judenfeindlicher Delikte steigt
681 Straftaten bis Ende August gezählt / Große Mehrheit der Vorfälle geht auf rechte Täter zurück / Grüne sprechen von hoher Dunkelziffer
Berlin. Antisemitische und antiisraelische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Wie aus einer am Freitag veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht, wurden in diesem Jahr bis zum 28. August 681 Straftaten gemeldet. Im Vorjahr waren es im selben Zeitraum 654 entsprechende Straftaten. Der Grünen-Politiker Volker Beck geht allerdings von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.
Den Angaben der Bundesregierung zufolge wurden unter anderem 434 Fälle von Volksverhetzung, 15 Gewaltdelikte sowie 70 Sachbeschädigung gezählt. Weitere Delikte betreffen etwa die Störung der Totenruhe oder Nötigung. Mehr als 90 Prozent der Straftaten wurden von deutschen Staatsangehörigen verübt. 312 von 339 Tatverdächtigen waren Deutsche. Als von rechts motiviert stuft das Ministerium die große Mehrheit der antisemitischen Delikte ein (632). Hintergrund von 23 Taten war demnach eine ausländische oder religiöse Ideologie.
Der Grünen-Politiker Beck rechnet mit deutlich mehr Straftaten in diesem Kontext, da viele Betroffene Vorfälle nicht melden. »Wir brauchen in Deutschland endlich eine klare Kante gegen Antisemitismus in all seinen Formen«, sagte der Bundestagsabgeordnete. Man dürfe den Kampf gegen Antisemitismus nicht den jüdischen Verbänden überlassen, sondern müsse es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, dass Juden in Deutschland sicher leben können.
»Wir erleben eine ungeahnte Renaissance antijüdischer Ressentiments und Verschwörungstheorien. Die Tabus sind gefallen«, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. »Die Zahlen sind noch erschreckender, führt man sich die kleine Zahl der jüdischen Bevölkerung in Deutschland vor Augen.«
Knobloch wies in diesem Zusammenhang auf den erstarkten Rechtspopulismus und -extremismus hin. »Pegida und Co. sowie die AfD haben diesen Virus in Deutschland ausbrechen lassen«, erklärte Knobloch. »Nennenswerte Teile der Gesellschaft sind enthemmt, gerieren sich offen rassistisch, antisemitisch und antiliberal.« Das werde noch schlimmer, wenn die AfD in den Bundestag einziehe, warnte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Zudem beklagte sie, dass es in Deutschland auch einen zunehmenden Antisemitismus von links gebe, der für jüdische Menschen eine große Belastung geworden sei. »Wie kein anderes Land wird Israel in Deutschland mit Genugtuung, Arroganz und unappetitlicher Überheblichkeit angeprangert und abgeurteilt«, sagte Knobloch. Israelkritik sei zum Volkssport geworden. Auch Antisemitismus unter Muslimen sei eine enorme Bedrohung. Sie warf den muslimischen Verbänden vor, jahrzehntelang nichts gegen antisemitische Hassprediger getan zu haben.
Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) bezeichnete Antisemitismus als »abstoßend und gefährlich«. »Wir dürfen in unserem Land nie wieder zulassen, dass Antisemitismus akzeptiert oder beiläufig toleriert wird«, erklärte Barley. Dafür müsse die gesamte Gesellschaft einstehen. Das beste Mittel gegen Hass und Intoleranz bleibe Bildung und Mitmenschlichkeit.
Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Michael Brand, betonte die besondere Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland. »Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Handeln sind hier unabdingbar, um gegen aufkeimenden Hass gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger klar und deutlich ein Stopp-Schild zu setzen«, erklärte der CDU-Politiker am Freitag. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.