Chemie-Millionen helfen beim Pumpen im Revier
Zehn Jahre Evonik: Wie der Konzern einen Großteil der Altlasten des Kohlebergbaus trägt
Essen. Fußballfans kennen Evonik als Sponsor von Bundesligist Borussia Dortmund, Anleger als Chemiewert mit stabiler Dividende. Doch der größte Anhänger des Essener Unternehmens dürfte der Bundesfinanzminister sein: Evonik sichert über seine Dividenden die Folgelasten des deutschen Kohlebergbaus.
Der Chemieriese gehört zu mehr als zwei Dritteln der RAG-Kohlestiftung, die die sogenannten Ewigkeitslasten trägt. Solange die Millionen aus Essen fließen, muss der Steuerzahler nach der Schließung der letzten deutschen Zeche für das dauerhafte Abpumpen des Grubenwassers nicht selbst aufkommen - eine ungewöhnliche, aber erfolgreiche Konstruktion.
Am 12. September ist die Gründung des Unternehmens zehn Jahre her, am 17. September feiert der Konzern bei einem Festkonzert mit den Berliner Philharmonikern in Essen.
»Ich kann in den nächsten 50 Jahren nicht erkennen, dass wir zur Finanzierung der Bergbaulasten den Steuerzahler benötigen. Das Stiftungsmodell funktioniert«, sagt der Evonik-Aufsichtsratschef und Stiftungsvorsitzende Werner Müller. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Ruhrkohle-Chef (ab 2003) hat die damals revolutionäre Idee durchgesetzt, die Industriebeteiligungen des früheren Ruhrkohle-Konzerns von den Zechen abzutrennen und in eine Stiftung einzubringen. So wurden die Unternehmen das Haftungsrisiko für den Kohleausstieg los und konnten sich besser entwickeln - dasselbe hofft nun die Energiebranche, nachdem sie sich vom Endlagerrisiko für Atommüll freigekauft hat.
Aus dem Chemieunternehmen Degussa, das mehrheitlich zum Ruhrkohlekonzern gehörte, formte Müller die heutige Evonik und übernahm den Vorsitz. Am 12. September 2007 - vor zehn Jahren - präsentierte das neue Unternehmen seinen von Beratern ausgedachten Kunst-Namen in riesigen Lettern an der Fassade des Essener Verwaltungshochhauses. Vorher hatten nur fünf Menschen im Konzern den neuen Namen gekannt, wie Müller erzählt.
Im Frühjahr 2013 ging Evonik an die Börse. Das Unternehmen erwirtschaftet heute mit mehr als 35 000 Mitarbeitern knapp eine Milliarde Euro Reingewinn und deckt rund 80 Prozent der Einnahmen der deutschen Kohlestiftung ab. »Für das Pumpen brauchen wir künftig rund 220 Millionen Euro im Jahr - unsere Einnahmen sind etwa doppelt so hoch«, sagt Müller.
Das Unternehmen setzt mit seinen Produkten auf globale Trends etwa bei der Ernährung: Mit riesigen Fabriken für die Aminosäure Methionin zur Tierfutterproduktion verdienen die Essener an der wachsenden Fleischnachfrage. Beim globalen Bevölkerungswachstum ist Evonik mit Superabsorbern für Babywindeln dabei. Mit der vor wenigen Tagen abgeschlossenen Übernahme des Kieselsäuregeschäfts von J.M. Huber aus den USA setzt der Konzern auf die steigende Nachfrage im Gesundheits- und Kosmetikmarkt etwa für Zahnpasta - ein typischer Boommarkt in Schwellenländern mit wachsendem Wohlstand.
Doch es gibt auch Herausforderungen: Die Aktie des Unternehmens dümpelt weiter deutlich unter dem Einstandskurs von 2013. »Die Börse will Produkte mit höherer Marge«, sagt der Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Ulrich Hocker. »Wachstum, neue Produkte oder eine große Neuerwerbung - es muss eine Zündung geben«, fordert der Aktionärsschützer. Aufseher Müller ist außerdem mit den Verwaltungskosten und zu bürokratischen Abläufen im Konzern nicht zufrieden. Er rechne dazu bei der nächsten Aufsichtsratssitzung im Herbst mit Vorschlägen des neuen Vorstandschefs Christian Kullmann. Der im Sommer bestellte Evonik-Chef will das Unternehmen nach eigenen Aussagen zum »besten Spezialchemiekonzern der Welt« machen - kein kleines Ziel. Ohne eine weitere größere Akquisition dürfte er dabei kaum auskommen, wird in der Branche erwartet. »Bisher gilt Evonik als etwas langweilige Langfristanlage«, sagt Hocker. »Aber Kullmann wird die Langeweile schon vertreiben.« dpa/nd
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