Abschiebeflug nach Afghanistan als Wahlkampfmanöver?
Pro Asyl: Mit der Maßnahme wird im »flüchtlingsfeindlichen Milieu nach Stimmen« gefischt
Berlin. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hält den geplanten Abschiebeflug nach Afghanistan für ein perfides Wahlkampfmanöver. »Man will ein Signal der Härte setzen, um kurz vor der Bundestagswahl im flüchtlingsfeindlichen Milieu nach Stimmen zu fischen«, sagte der Geschäftsführer der Organisation, Günter Burkhardt, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er warf Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und dessen Amtskollegen in den Ländern vor, die Lage in Afghanistan komplett zu ignorieren. Auch die Opposition erhob schwere Vorwürfe.
Mehrere Bundesländer bereiten nach einer längeren Pause erstmals wieder eine Sammelabschiebung nach Afghanistan vor. Mindestens zwölf Menschen, darunter vier aus Nordrhein-Westfalen, sechs aus Bayern und einer aus Hamburg, sollen am Dienstagabend von Düsseldorf aus in die afghanische Hauptstadt Kabul geflogen werden. Das hatte der Flüchtlingsrat NRW der dpa am Montag gesagt. Das Landesministerium für Flüchtlinge und Integration in NRW äußerte sich nicht dazu. Das Bundesinnenministerium lehnt generell jede Aussage zu anstehenden Abschiebeaktionen ab.
Es wäre die erste Sammelabschiebung nach Afghanistan seit dem schweren Anschlag vom 31. Mai in Kabul in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft. Die Explosion hatte mindestens 150 Menschen getötet, Hunderte verletzt und schweren Schaden auf dem Gelände der Botschaft angerichtet. Nach dem Anschlag hatten Bund und Länder die Abschiebungen nach Afghanistan auf drei Gruppen beschränkt: »Gefährder« – Menschen, denen die Sicherheitsbehörden einen Terrorakt zutrauen – , Straftäter und jene, die »hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitätsfeststellung« verweigern. Hilfsorganisationen lehnen Abschiebungen in das Land generell ab, weil sie die Situation in Afghanistan für lebensgefährlich halten.
Burkhardt beklagte, die Sicherheitslage in dem Land habe sich enorm verschlechtert. Die US-Regierung habe gerade erst entschieden, ihre Militärpräsenz dort wieder auszubauen. Deutschland schiebe dennoch dorthin ab. »Das passt nicht zusammen«, beklagte er. »Gegenläufig zur Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan wird versucht, hier ein Exempel zu statuieren.« Dies sei nicht zu rechtfertigen. Er sprach von einem »Machtkampf« zwischen de Maizière und dem CSU-Spitzenkandidaten, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann(CSU), nach dem Motto: »Wer ist der härteste Sheriff in Deutschland?«
Neben dem Versuch, rechte Stimmen zu fangen, gehe es den Innenministern wohl auch darum, Panik in der afghanischen Community zu schüren. »Die Abschiebungen führen zu einer enormen Verunsicherung unter den hier lebenden Afghanen«, sagte Burkhardt.
Auch aus der Opposition kam harte Kritik. Die LINKE-Innenpolitikerin Ulla Jelpke beklagte: »In ihrer rigorosen Abschiebepolitik hat die Bundesregierung sichtlich jede Scham verloren.« Mit dem geplanten Abschiebeflug gehe es de Maizière allein darum, vor der Bundestagswahl noch ein Zeichen zu setzen. »Das ist eine menschenrechtliche Kapitulationserklärung sondergleichen.«
Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Luise Amtsberg, warf de Maizière ebenfalls vor, er wolle sich gegen Herrmann profilieren und gefährde so Menschenleben. »Das ist zynisch«, sagte sie. »Afghanistan ist seit Anfang Juni diesen Jahres nicht sicherer geworden und das weiß auch die Bundesregierung.« Agenturen/nd
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