Friede, du billiges Würstchen!

Deutschland ist eine einzige Dumpinggesellschaft, meint Roberto J. De Lapuente. Das wird einem vor allem beim Einkaufen bewusst

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit vergangener Woche wissen wir: Die Butter ist teuer wie nie. 1,99 Euro bei Aldi wird sie fortan kosten. Das hat wenig mit der Kulanz des Discounters gegenüber den Erzeugern zu tun, als mit der Produktionsrealität. Die Butter, das heißt eigentlich das Milchfett, ist momentan ein knappes Gut. Das will bezahlt sein. Natürlich beschäftigte das Thema auch die Wirtschaftsressorts der Quantitätsmedien. Da würde einem ja die Butter vom Brot genommen, unkten sie. Erst gehe es an die gute deutsche Butter, dann ans Eingemachte. Wir haben uns in Deutschland ja mittlerweile auch an günstige Discounterpreise für Lebensmittel gewöhnt.

Das deutsche Zufriedenheitswunder (Weiter so! trotz Gemotze) hat auch mit diesen günstigen Lebensmittelpreisen zu tun. Wenn nun die Butter teurer wird, dann ist das gar kein Angriff auf das Butterbrot der Deutschen - eigentlich ist das Normalität. Denn zwar sind Lebensmittel in Deutschland teurer als im EU-Durchschnitt - diese Statistik täuscht aber darüber hinweg, dass sie im Vergleich zu den westlichen Nachbarländern weitaus günstiger sind. Nur wegen der osteuropäischen Staaten wird das durchschnittliche Niveau derart gesenkt. Dort ist es teilweise so günstig, dass Deutschlands Discounterkultur wie Wucher aussieht.

Für jemanden, der regelmäßig in deutschen Supermärkten seine Besorgungen erledigt, kann ein Einkauf im europäischen Ausland tatsächlich ein Schock sein. Vor einigen Wochen verbrachte ich zwei Tage in Belgien, wollte mir zum Abschluss noch etwas Kulinarisches aus einem Carrefour gönnen. Doch die Tour war ernüchternd. Einige Scheiben eingeschweißter Schinken, die ich hier in Deutschland für 0,99 bis 1,39 Euro bekommen hätte, kosteten dort 3,33 Euro; Fleisch war grundsätzlich um 30 bis 50 Prozent teurer. Ähnlich erging es mir einige Monate zuvor in Spanien. Kaum ein Produkt war dort günstiger als hierzulande, selbst Chorizo oder Jamón Serrano bekam man in Deutschland günstiger als im Ursprungsland.

Ob die Qualität dort besser ist, kann man nur schwer einschätzen. Die optische Prüfung beim Fleisch in der belgischen Auslage legt aber nahe: Ja, es sieht gesünder aus, hat weniger von dieser künstlichen Farbe, die man vom abgepackten Hackfleisch bei uns hier kennt. Was man allerdings ziemlich genau einschätzen kann: In Deutschland wurde die Lebensmittelbranche aldisiert, keines der reicheren Länder Europas bietet so günstig Essbares an. Deutschland hat nicht nur den größten Niedriglohnsektor des Kontinents, es hat auch die günstigsten Verkaufsregale. Man könnte tatsächlich behaupten, dass dieses Land eine einzige Dumpinggesellschaft darstellt.

Wahrscheinlich dürften die Erzeuger in kaum einem europäischen Staat so sehr in die Enge getrieben werden, wie im aldisierten Discounterdeutschland. Wie Aldi das handhabt, konnte man mehrfach lesen, die Praxis füllt ganze Schwarzbücher. Billigheimer zu sein wurde salonfähig, Geiz wurde geil - wir waren doch nicht blöd. Ob nun ein Metzgerbetrieb davon leben konnte, wenn er sechs Bratwürstchen einschweißt und so an einen Discounter liefert, dass der noch 1,29 Euro dafür nimmt, interessiert ja bis heute niemanden. Hauptsache zur nächsten WM gibt es bei Lidl und Konsorten wieder Schnäppchen, kann man sich wieder einen Sechser Bier und Rostbratwürste für einen schlappen Euro holen.

Wer was daran verdient und ob da die Qualität mithalten kann - wer will das wissen? Es gibt in diesem Lande Prioritäten. Die Erzeuger vor Dumping und letztlich vor unlauteren Methoden zu schützen, gehört da nicht dazu. Billig muss es sein. Wenn die Lebensmittel teuer werden wie im reicheren Rest Europas, dann fühlt sich der Deutsche betrogen. Eines seiner Sprichwörter lautet ja auch, dass er sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen will - er meint damit: Ich lass mich nicht unterbuttern. Die Butter, sie ist halt Synonym des deutschen Wesens. Das war vor Aldi so - aber nach der Aldisierung trifft es erst recht zu.

Teure Lebensmittel sind aber auch gefährlich. 1789 wäre ohne sie nicht denkbar gewesen. Wenn sich die besorgten Bürger da draußen auch noch um ihr Butterbrot Sorgen machen müssen, na dann wird es turbulent. Aldi, Lidl und Penny leisten also einen Beitrag zur inneren Befriedung des Landes. Den sozialen Frieden, den lassen wir uns wenig kosten.

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