Wuchermieten im Bundesauftrag
In Zehlendorf fürchten sich Gutverdiener vor Verdrängung durch die BImA
Die Mieter der Wohnanlage an der Sundgauer Straße in Zehlendorf sind in Aufruhr. Ein Dutzend von ihnen steht an diesem Donnerstagmorgen auf dem Bürgersteig. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), ihr Vermieter, will wieder mehr Geld. »Wie immer, alle drei Jahre«, sagt Claudia-Stefanie Schmid. »Aber diesmal soll ich fast 124 Euro pro Monat mehr bezahlen«, sagt sie. »Bisher waren es immer um die 50 Euro mehr, die die BImA wollte. Jetzt ist es deutlich mehr«, so Schmid. 14,87 Prozent Mieterhöhung, die gesetzlich erlaubten 15 Prozent Spielraum wurden fast ausgereizt. »Jetzt geht es richtig an die absolute Schmerzgrenze«, findet Schmid.
»Ich habe in den letzten zwölf Monaten sogar zwei Mieterhöhungen bekommen«, sagt Michael Alvarez. In dem Zeitraum stieg seine Kaltmiete von rund 900 auf 1100 Euro. Richtig gewehrt hat sich bisher nur Norbert Domhöfer. 2014 wollte die BImA die Miete wegen eines angeblich vorhandenen »hochwertigen Parketts« erhöhen. Er widersprach, die Sache landete vor Gericht. Das schaltete schließlich einen Gutachter ein, der tatsächlich kein entsprechendes Parkett fand. »Bisher wurde fast immer die Hälfte der verlangten Mieterhöhungen vom Gericht einkassiert«, berichtet seine Frau. Der nächste Prozess um eine Mieterhöhung ist für den 20. September angesetzt. Familie Domhöfer sieht dem gelassen entgegen, bisher lief es meistens gut. »Seit meinem Einzug 1994 ist meine Miete um 217 Prozent gestiegen«, hat Ullrich Dobber ausgerechnet.
»Es ist ein Versäumnis, dass wir uns nicht schon vorher zusammengeschlossen haben«, sagt Schmid. Seit 1993 wohnt sie in der Anlage, sie ist damit eine Mieterin der ersten Stunde. Davor waren amerikanische Unteroffiziere hier untergebracht. Dementsprechend großzügig sind die Wohnungen, fast alle über 120 Quadratmeter groß. Auch die jetzigen Bewohner sind nicht arm. Schmid arbeitet in einer Senatsverwaltung. Die Wohlanlage liegt nicht im reichen Teil Zehlendorfs, aber durchaus in gutbürgerlicher Nachbarschaft.
Die drastische Mieterhöhung ist die eine Sache. Doch bei Neuvermietungen geht die Bundesanstalt an das maximal Mögliche. 10,57 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter verlangte die BImA kürzlich für eine 5-Zimmer-Wohnung, die 127,8 Quadratmeter misst. Der Oberwert im Mietspiegel liegt für die entsprechende Baualtersklasse bei 9,61 Euro. Wenn man dann noch zehn Prozent aufschlägt, reißt man die Mietpreisbremse gerade nicht. Laut Information der Nachbarn wurde weder groß saniert, noch musste bereits der Vormieter eine so hohe Miete bezahlen.
»Die Mietpreisbremse könnte durchaus verletzt worden sein, denn der Oberwert im Mietspiegel ist nicht immer maßgeblich«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). »Wir finden es höchst bedenklich, wenn eine Organisation des Bundes sich eine Interpretation der Mietpreisbremse zueigen macht, die nicht der Interpretation des Bundesjustizministeriums entspricht«, sagt Wild. Letztlich muss der Einzelfall mit allen Merkmalen geprüft werden, auf rechtlich dünnem Eis bewegt sich die dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unterstellte Anstalt allemal.
Die BImA wolle den »Einzelfall Sundgauer Str. 146« erneut prüfen, hieß es auf nd-Anfrage.
Nach Zehlendorf geladen hatte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Paus. Nach den geplatzten Verhandlungen über den Verkauf von rund 4600 Bundesimmobilien hatte sie eine Schriftliche Anfrage gestellt. Der Bund habe entschieden, die Berliner Geschosswohnungen »derzeit nicht zu veräußern«, schreibt das Bundesfinanzministerium in seiner Antwort. »Im Falle eines späteren Verkaufs könnten diese Wohnungen von dem Land Berlin erworben werden«, heißt es weiter.
»Es wäre durchaus in Ordnung, wenn der Bund seine Immobilien behält. Aber nur, wenn die BImA ähnlich wie die Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ihre Vermietung an sozialen Kriterien ausrichtet«, sagt Paus. Um sich die unterschiedliche Liegenschaftspolitik klarzumachen genügt der Blick auf Gebot und Forderung während der Paketverhandlungen. »Ich habe gehört, dass Berlin wohl um die 800 Millionen Euro geboten hat, während der Bund rund zwei Milliarden Euro haben wollte«, sagt Paus.
Die Bundesregierung schweigt sich in ihrer Antwort auf die Anfrage der Finanzpolitikerin zu vielen Fragen einfach aus, beklagt sie. Der derzeitige Verkaufsverzicht beziehe sich lediglich auf die Geschosswohnungen. »Die Wohnbaupotenzialflächen, die ebenfalls Gegenstand der Verhandlungen waren, werden überhaupt nicht erwähnt«, sagt Paus. Gerade die Sundgauer Siedlung mit ihrer sehr lockeren Bebauung sei ein sehr gutes Beispiel, was für ein großes Nachverdichtungspotenzial die BImA-Flächen haben.
»Wir brauchen eine Kehrtwende in der Liegenschaftspolitik des Bundes«, fordert Paus. »Dabei kommen wir an einer Gesetzesänderung für die BImA nicht vorbei.« Sämtliche von LINKEN und Grünen bisher betriebenen Initiativen in dieser Richtung perlten jedoch stets an der schwarz-roten Koalition im Bund ab. Was unter schwarz-gelb mit den Liegenschaften geschehen könnte, will sich Paus lieber nicht ausmalen.
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