Existenznot wegen Mietkaution
Jobcenter kürzen Hartz-IV-Regelsatz für Rückzahlung von Darlehen
Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, haben meist gerade genug Geld, um durch den Monat zu kommen. Für Neuanschaffungen sind viele Hartz-IV-Bezieher deshalb auf Darlehen der Jobcenter angewiesen. Damit können zwar dringende Reparaturen getätigt oder ein neuer Kühlschrank gekauft werden, anschließend wird der Regelsatz jedoch um zehn Prozent gekürzt - bis das Darlehen zurückgezahlt ist. Das verschlechtert die Situation weiter.
Diese Regelung gilt nicht nur für Neuanschaffungen, auch Mietkaution und Beiträge für Wohnungsgenossenschaften sind davon betroffen. Für Linksparteichefin Katja Kipping ist das ein Skandal: »Hier wird jahrelang das Existenzminimum gekürzt. Woran sollen die Betroffenen denn noch sparen, am Essen?« Vorangegangen war eine kleine Anfrage an die Bundesregierung, die diese aus Sicht der LINKEN nicht zufriedenstellend beantwortet hat. Demnach hat die Bundesregierung noch nicht einmal versucht, das Ausmaß der Kürzungen herauszufinden. »Damit demonstriert das Haus Nahles sein totales Desinteresse für Erwerbslose, Aufstockerinnen und Aufstocker«, so Kipping.
Nicht nur sei die zwangsweise Rückzahlung der Darlehen über Jahre hinweg existenzgefährdend, auch sei die grundsätzliche Rechtmäßigkeit des Verfahrens zweifelhaft, heißt es in der Auswertung der Anfrage, die »nd« vorliegt. Schließlich seien Kautionen und Genossenschaftsanteile den Kosten der Unterkunft zuzurechnen, die von den Jobcentern übernommen werden.
Wie verschiedene Sozialgerichtsurteile zeigen, steht die Linkspartei mit dieser Auffassung nicht allein da: So urteilte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen am 29. Juni, dass die Kürzung der Regelleistung für Mietkautionsdarlehen rechtswidrig sei, da sie das Existenzminimum schmälere. Auch das Bundessozialgericht bezweifelte bereits im Juni 2015 die Rechtmäßigkeit. Der Regelsatz - derzeit 409 Euro für einen Alleinstehenden - sei nicht so berechnet, dass er ein Ansparen für Mietkautionen ermögliche.
Kritik übt Kipping auch daran, dass dem Bundesarbeitsministerium offenbar nicht mal das Ausmaß der Kürzungen bekannt sei. Zumindest konnte das SPD-geführte Ministerium weder Fragen nach der Zahl der Betroffenen noch nach Rückzahlungszeiträumen beantworten. Unklar ist also, wie viele Menschen von der faktischen Kürzung des Existenzminimums betroffen sind. Auf die Hauptkritik der Sozialgerichte - die systemwidrige Vermischung von Regelleistung und Unterkunftskosten - gehe die Bundesregierung ebenfalls nicht ein, so Kipping.
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