Lampedusas Totò will nicht mehr
Der Bürgermeister der italienischen Insel bereitet ein Ende der Willkommenskultur vor
»Schluss mit den Flüchtlingen, die machen nur Ärger«, sagt Salvatore Martello, Bürgermeister der Mittelmeerinsel Lampedusa. Er versucht so, eine Art Legende zu zerstören, die Geschichte einer kleiner flüchtlingsfreundlichen Insel, die mit ihren Einwohnern sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Und er schlägt jetzt in eine Kerbe, die in Italien in den letzten Monaten immer tiefer zu werden droht.
Salvatore Martello, genannt Totò, sagt seine Wahrheit ganz deutlich: »Die Bars sind voll von Tunesiern, die sich besaufen und Frauen belästigen. Die Hoteliers, die Laden- und die Restaurantbesitzer leiden tagtäglich darunter und haben die Schnauze voll«. Deshalb fordert der Mann, der im letzten Juni mit über 40 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister gewählt wurde, dass die Migranten schnellstmöglich aufs italienische Festland gebracht werden und der Hotspot der Insel geschlossen wird. Schluss mit der Willkommenskultur, die Lampedusa zu einer der berühmtesten Inseln der Welt gemacht hat. Selbst die Filmbranche setzte Lampedusa und ihren Einwohnern mit der Dokumentation »Fuocoammare«, die 2016 in Berlin den Goldenen Bären gewann, ein Denkmal.
Herr Martello war schon vor 2001 zwei Mal Bürgermeister der Insel und wurde dann von Frau Giusy Nicolini geschlagen, die Lampedusa bis vor wenigen Monaten vorstand. Er ist eine schillernde Persönlichkeit. Selbst bezeichnet er sich als »eigenwilligen Kommunisten« , hatte aber immer vor allem die Touristikbranche hinter sich. Und auch in der letzten Wahlkampagne versprach er mit seiner Bürgerliste: Weniger Flüchtlinge, weniger Lokalsteuern und mehr Baugenehmigungen. Mit 1500 gegen 950 Stimmen besiegte er seine ewige Widersacherin Giusy Nicolini, die heute im nationalen Parteirat der Demokratischen Partei sitzt.
Die Lage auf der Insel sei unerträglich, meint Bürgermeister Martello und spricht von marodierenden Gruppen junger Tunesier, die »keine guten Menschen sondern Verbrecher« seien, Alkohol und Lebensmittel klauen und gegen die selbst die Polizei machtlos sei. Der Priester der Insel Carmelo La Magra ist zumindest verwundert. »Ich sehe eine ruhige Insel mit hoher Lebensqualität und vielen Touristen. Die Worte des Bürgermeisters wundern mich. Ich sehe keine Probleme, aber wenn der Bürgermeister das sagt, wird er wahrscheinlich seine Gründe und mehr Informationen als ich haben. Aber ich weiß nichts von Unruhen. Ich finde, dass man kein Misstrauen schüren sollte «.
Giusy Nicolini, die für ihr Engagement den Friedenspreis der UNESCO erhalten hat, ist in ihrer Wortwahl weniger vorsichtig. »Martello verbreitet Terror«, sagt sie. »Es ist absurd, von Notstand zu sprechen, nur weil ein Tunesier an einem Obststand eine Wassermelone geklaut hat«. Das wirkliche Problem, meint sie, sei ein ganz anderes: Nach Schließung der Libyen-Route kämen jetzt fast nur noch junge Tunesier auf die Insel, die sich keine Hoffnung auf Asyl machen können. Die würden aber aus bürokratischen Gründen ewig auf Lampedusa festgehalten. Und wer keine Hoffnung hat, macht auch mal Dummheiten. »Mit unserer Arbeit haben wir der Insel ihre Würde zurückgegeben«, sagt Frau Nicolini. »Der Bürgermeister aber möchte einen Notstand kreieren, wo es gar keinen gibt«.
In Italien verändert sich das Klima in Bezug auf die Flüchtlinge zusehends. In der Presse werden alle Straftaten unterstrichen, die von »Ausländern« verübt werden. Es entsteht zunehmend der Eindruck, als habe es in Italien »früher« keine Vergewaltigungen und keine Kriminalität gegeben. Für so ziemlich alles werden die Migranten verantwortlich gemacht - für die Jugendarbeitslosigkeit genauso wie für drei Fälle von Malaria, die es kürzlich gab.
Noch vor kurzem erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Italien habe mit seinen Missionen im Mittelmeer »die Ehre Europas« gerettet. Doch jetzt, wo mit italienischer Hilfe Flüchtlingsboote abgedrängt und Menschen in die unmenschlichen Lager nach Libyen zurückgeschickt werden, sind die Zeiten der »Ehrenrettung« offensichtlich vorbei.
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