Senat stellt sich hinter Streikende
Dilek Kolat fordert vom Bund verbindliche Vorgaben für Personal und Finanzierung
Der am Montag begonnene Streik des Pflegepersonals an der Berliner Charité hatte sich am zweiten Tag zunächst deutlich zugespitzt. Grund war, dass sich die Klinikleitung weiterhin geweigert hatte, eine Notdienstvereinbarung zu unterzeichnen, mit der üblicherweise auch die Schließung einzelner Stationen während des Streiks vereinbart werden kann. So war es nicht möglich, den Ausstand wie geplant fortzusetzen, da sonst die Versorgung der Patienten möglicherweise gefährdet worden wäre. Die Kollegen würden von der Klinikleitung »massiv unter Druck gesetzt«, beschrieb eine Streikende am Dienstag die aktuelle Lage gegenüber »nd«.
Stephan Gummert von der ver.di-Streikleitung sprach von einer »extrem verhärteten Situation«. Offensichtlich gehe es der Klinikleitung um mehr als um die laufende Tarifauseinandersetzung zur Mindestpersonalausstattung in den Stationen. Vielmehr entstehe der Eindruck, als solle der Streik »um jeden Preis gebrochen werden«. Längst gehe es daher für die Gewerkschaft auch um die generelle Verteidigung des Streikrechts in Krankenhäusern. Sollten sich Berichte bestätigen, denen zufolge Kollegen von leitenden Mitarbeitern der Klinik arbeitsrechtliche Konsequenzen im Falle einer Streikbeteiligung angedroht wurden, werde man nicht zögern, Anzeigen wegen Nötigung auf den Weg zu bringen.
Gummert verwies bei dieser Gelegenheit auch auf derzeit laufende Streiks des Pflegepersonals in anderen Bundesländern. So gebe es beispielsweise in der kommunalen Kliniken im schwäbischen Günzburg (Bayern) eine entsprechende Notdienstvereinbarung.
Die politische Verantwortung für die Charité obliegt dem Berliner Senat, der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) gehören auch dem Aufsichtsrat des Universitätsklinikums an, Müller als Vorsitzender. Die Parteien der rot-rot-grünen Regierungskoalition haben stets betont, die Forderung nach besserer Personalausstattung in der Charité vorbehaltlos zu unterstützen. Daher verlangt ver.di auch eine schnelle politische Intervention des Senats, um die Klinikleitung zum Einlenken zu bewegen.
Auf der Pressekonferenz im Roten Rathaus nach der wöchentlichen Senatssitzung stellte sich dann auch Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) klar hinter das Anliegen der Streikenden an der Charité. Ausdrücklich unterstützte sie dabei die Forderung der Gewerkschaft ver.di nach einer Verbesserung der Personalausstattung bei den Pflegekräften, richtete dabei ihre Hauptkritik jedoch an die Adresse der Bundesregierung. »Es geht hier nicht nur um die Charité, die Arbeitsbedingungen und die Personalausstattung in der Pflege an Krankenhäusern müssen bundesweit verbessert werden«, erklärte sie. »Das ist ein Thema, das unsere gesundheitliche Versorgung insgesamt angeht, und hier hat der Bund in den vergangenen Jahren die Entwicklung verpennt.«
In diesem Zusammenhang erinnerte die SPD-Politikerin daran, dass die Zahl der Menschen, die an den Krankenhäusern behandelt wurden, seit Beginn der 1990er Jahre bundesweit deutlich gestiegen sei - von 14,5 Millionen Fällen 1991 auf 19,2 Millionen 2015. In der selben Zeit seien auch mehr Ärzte eingestellt worden, ihre Zahl wuchs von 95 208 (1991) auf 154 364 (2015). Gemessen daran sei die Zahl der Pflegekräfte im selben Zeitraum »signifikant« zurückgegangen - von 780 000 auf unter 713 000, und zwar aus rein finanziellen Gründen.
Die Gesundheitssenatorin forderte vom Bund, gesetzlich »verbindliche Personalvorgaben« für die Krankenhäuser festzulegen und auch deren Finanzierung zu regeln. Klar sei, dass es so wie bisher nicht weitergehen könne.
Gegen Mittag bahnte sich dann Bewegung an. Die Klinikleitung hatte sich kurz nach der Senatssitzung bereiterklärt, nun doch mit der Gewerkschaft über eine Notdienstvereinbarung zu verhandeln. Für zumindest eine Station am Standort des Virchow-Klinikums wurde im Anschluss die Schließung vereinbart. Die Verhandlungen waren bei Redaktionsschluss noch nicht beendet.
Tobias Schulze, der für die Linksfraktion dem Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses angehört, begrüßte diese Entwicklung gegenüber dem »nd«. Es habe zuvor »intensive Bemühungen gegeben, diesen unnötigen Konflikt zu entschärfen«. Nun ginge es wieder um den Kern der Auseinandersetzung, also die Verbesserung der teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals an der Charité und darüber hinaus an allen Kliniken in Deutschland.
Am Dienstagnachmittag zogen viele Streikende von den Standorten der Charité vor das Bundesgesundheitsministerium, um dort an der zentralen Protestkundgebung im Rahmen des bundesweiten Aktionstages von ver.di teilzunehmen. In deren Mittelpunkt stand die Forderung nach trägerübergreifenden Tarifverträgen zur Personalausstattung der Krankenhäuser sowie einer gesetzlichen Regelung für die Mindeststandards.
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