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Mussolini und ... Bach!

Sándor Lénárd beschreibt seine Jahre im römischen Exil

  • Friedemann Kluge
  • Lesedauer: 3 Min.

Sándor Lénárd, 1910 in Budapest geboren, muss zum Ende der 30er Jahre eine Antenne dafür gehabt haben, was ihm, dem Juden, in nicht allzu langer Zeit in seinem Heimatland widerfahren würde. Dass es ihn aus Österreich ausgerechnet ins faschistische Italien zog, kann nur den überraschen, der den italienischen Faschismus Mussolinischer Prägung gleichsetzt mit dem NS-Regime Hitlers. Lénárd hat für jede Situation einen Aphorismus bereit, auch dort, wo er italienische Faschisten und deutsche Nazis miteinander vergleicht: »Wer den Mund hielt, konnte unter den Schwarzhemden noch leben, die Braunhemden erfanden die Pflicht, mit den Wölfen zu heulen.«

Das, was der Autor eine »Portiero-kratie« nennt, gab es freilich in beiden Systemen: »Die Bewohner fürchten sich nicht vor dem Duce, sondern vor dem Hausmeister.«

Lénárd verbrachte in Rom etliche quälende Hungerjahre, teilweise sogar in Obdachlosigkeit: »Satt zu werden, ist nicht leicht, schlafen ist schwierig, aber verhungern ist noch viel schwieriger. Dafür gibt es im Herzen Europas mit Stacheldraht umzäunte Gelände.« Schließlich kann er sich mit Blutdruckmessen und Übersetzungen über Wasser halten.

Rückblickend sieht er diese Jahre aber keineswegs nur düster. In gewisser Weise ist sein Buch geradezu ein Stadtführer durch das Rom der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit genauer Beobachtungsgabe richtet er den Fokus nicht nur auf »seine« Straße, die titelgebende Via Condotti, sondern beschreibt auf unterhaltsame, oft sogar amüsante Weise sein ganzes Viertel mit seinen aus Ungarn und anderswo emigrierten Leidensgenossen. Und das alles gewissermaßen unter Mussolinis Augen.

Den Duce nimmt der Autor mit maliziöser Begeisterung immer wieder aufs Korn, macht ihn zu einer - wenn auch nicht ganz ungefährlichen - Spottnummer. Weil er ihn so häufig erwähnt, könnte der »zukünftige Leser daraus schließen, es müsse sich bei ihm doch um eine bedeutende Persönlichkeit handeln. Das wäre ein Fehlschluss. Wer Zahnschmerzen hat, spricht über Zähne, der Herzkranke ertastet seinen Puls. Wo es um die Wunden Italiens geht, ist stets auch derjenige zu benennen, der sie geschlagen hat.«

Schuld an seinem Exil waren die Deutschen, was den Autor indes nicht hinderte, einen der größten unter ihnen geradezu abgöttisch zu lieben: Johann Sebastian Bach. »Bach ist meine Muttersprache«, schreibt er und: Wir entschieden uns, »Johann Sebastian Bach, den gütigen Heiligen mit seiner Perücke, zwischen uns und das Elend zu stellen«.

An einer Stelle denkt Sándor Lénárd darüber nach, was ein gutes Buch ausmacht: Es »prägt sich durch zwei Zeilen oder auf zweihundert Seiten durch ein Bild oder einen Satz ein, die du in deinem ganzen Leben nicht mehr vergessen wirst.« Hier sind es 337 ½ Seiten voller Weisheit und Aphoristik, die der aufmerksame und gedächtnisbegabte Leser so leicht nicht mehr vergessen wird!

Sándor Lénárd: Am Ende der Via Condotti. Römische Geschichten. Deutscher Taschenbuch Verlag, 347 S., geb., 22 €.

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