Von Hexen und Hexern

Benevento Calcio ist in die italienische Serie A durchmarschiert, gut gelaunt kämpft man nun gegen den Abstieg

  • Tom Mustroph, Benevento
  • Lesedauer: 5 Min.

In den Gassen des Rione Liberta (Stadtviertel »Freiheit«) der 60 000-Einwohner-Stadt Benevento finden sich noch jetzt die Spuren des großen Fußballfests vom 8. Juni 2017. Das 1:0 im Playoff gegen den Serie-A-Absteiger Carpi bescherte den Aufstieg in die höchste Spielklasse. Fotos und Videos jenes Abends zeigen, wie die Fankurve im Feuer der Freudenböller taghell erstrahlte.

Ein Bild, das auch im Mittelalter erfreut hätte. Unweit der Fankurve soll der Legende nach ein vom Germanengott Odin geweihter Nussbaum gestanden haben, in dessen Schatten sich im 7. Jahrhundert die Hexen von Benevento zu ihren nächtlichen Ritualen versammelten. Das jedenfalls versichert Paola, Anhängerin von Benevento, und streckt den Arm in Richtung des Waldes aus, in dem der Nussbaum zur Langobardenzeit gewachsen sein soll. »Es waren gute Hexen! Ich bin auch eine«, sagt sie und lacht. Und ihr Mann Francesco, der seit mehr als 40 Jahren ins Stadion kommt, wenn Benevento spielt, widerspricht nur leise. »Sie ist die einzige Hexe hier, die nicht gut ist«, meint er schmunzelnd. Ehekabbeleien haben in der Hexenstadt an der Westküste Italiens einen besonderen Anstrich.

Eine Hexe hat es auch ins Wappen des Klubs geschafft. Der lokale Hersteller eines Kräuterlikörs wirbt ebenfalls mit einer Hexe. Hexenwimpel hängen wie selbstverständlich in den Straßen. Manche sind heruntergerissen worden - Zeugen der wilden Aufstiegsnacht im Sommer. Andere wurden wieder aufgehängt.

Die Erinnerung an das Aufstiegsereignis ist noch frisch. Paola wirkt selbst jetzt noch überwältigt und streicht nur mit den Fingern von den Augen über die Wangen, um den Fluss der Freudentränen anzudeuten. Benevento Calcio, 1929 gegründet, das einst sein erstes Spiel gegen einen Verein »Dopolavoro Ferroviario« (Eisenbahner-Feierabend, ein Hinweis auf die proletarischen Wurzeln des heutigen Hochglanzspektakels) austrug, ist 2017 etwas in Italien Einmaliges gelungen: Zwei Jahre zuvor kickte der Verein noch in der dritten Liga, seiner angestammten Spielklasse mit 38 Teilnahmen in 88 Jahren. Dann aber glückte der Aufstieg in die Serie B. Und im Jahr darauf der direkte Aufstieg ins Oberhaus. Das schafften zwar zuvor auch der SSC Neapel nach überstandenem Konkurs und Zwangsabstieg in den Jahren 2005 bis 2007 und der AC Florenz von 2002 bis 2004. Beide Klubs hatten aber zuvor Erfahrung in Serie A und B, Benevento war hingegen in beiden Spielklassen Neuling.

Dass es für den Klub nun gleich weiter nach oben geht, also direkt in die Europa League, glaubt niemand. Schmerzhaft war der Start in die Saison. Ein Tor geschossen, 14 Gegentreffer kassiert, null Punkte nach fünf Spieltagen, letzter Platz. Vor allem gegen Neapel und den AS Rom war bei den 0:6- bzw. 0:4-Klatschen ein Klassenunterschied zu spüren.

Trauer herrscht deshalb aber nicht in Benevento. »Jeder hier wusste, dass es schwer wird. Wir hatten am Anfang auch Pech. Das Siegtor vom FC Turin gegen uns fiel erst in der 94. Minute, auch gegen Sampdoria Genua wäre ein Remis gerecht gewesen«, meint Guido De Rosa. Der Präsident der Fußballschule ASD Grippo im alten Stadion von Benevento war mehr als 30 Jahre lang in der Jugendabteilung von Benevento Calcio tätig.

In seinem mit Fußballpokalen vollgestopften Büro erzählt er von der Aufstiegsgeschichte. »Es steckte ein solider Plan dahinter. Es geht Schritt für Schritt. Das Geld ist da, um länger oben zu bleiben. Und für Benevento kommt es eigentlich nur darauf an, in der ›Meisterschaft der Sieben‹ vorn zu sein«, erzählt er. Die »Meisterschaft der Sieben« wird von den Vereinen mit den kleinsten Etats, mit Nettogehältern unterhalb der 10-Millionen-Euro-Grenze, ausgetragen. Neben Benevento (6,4 Millionen) sind das die Mitaufsteiger Spal (4,6) und Hellas Verona (7,6), der andere Südverein Crotone (5,3) sowie Chievo Verona (7,9), Udinese und Cagliari (jeweils 9 Millionen). Zum Vergleich: Branchenführer Juventus zahlt 83 Millionen Euro Lohn an sein spielendes Personal. Beneventos Minimeisterschaft beginnt erst diesen Sonntag, mit dem Auswärtsspiel beim nur einen Punkt besseren Crotone.

Keinen Klassenunterschied gab es in dieser Saison bei den Fans. Die 1100 Mann aus Benevento sangen im Hexenkessel des San Paolo in Neapel auch nach dem 0:6 noch so kraftvoll, dass selbst die Napoli-Fans für Momente voller Respekt verstummten und der kleinen Abordnung der Gegner akustisch das Feld überließen. Bis nach Argentinien sprach sich das herum. Die Tageszeitung »Olé« berichtete beeindruckt von den »Fans, die ihre Fröhlichkeit nicht verloren«. In Benevento erzählt man sich nun stolz davon, dass die Kunde vom Tun der Fans bis ins ferne Südamerika drang.

Auch gegen den AS Rom wurde durchgesungen, trotz des am Ende klaren 0:4. Alle sind sich der Märchenhaftigkeit der Ereignisse bewusst und wollen einfach jeden Moment in der Serie A genießen. »Sieh mal: Bislang kannten die Leute hier Profis wie Dries Mertens oder Francesco Totti nur aus dem Fernsehen. Jetzt spielen die eigenen Jungs gegen sie. Und Totti kommt sogar hierher, nach Benevento«, meint De Rosa. Francesco Totti, Urgestein des AS Rom, spielt zwar nicht mehr. Aber er hat sein Trainerstudium unterbrochen und als frisch gebackener Manager die Roma zum Auswärtstrip begleitet. Und die Fans standen Schlange, um »Il Capitano« zu sehen.

Die gute Fee in diesem Fußballmärchen im alten Hexenland von Benevento ist ein Mann, Oreste Vigorito. Gemeinsam mit seinem mittlerweile verstorbenen Bruder Ciro, nach dem auch das Stadion benannt ist, wurde er mit Windkraftanlagen reich und kaufte sich den lokalen Fußballklub. Seine Windenergiefirma gilt als eine der größten in Italien. Manche nennen ihn den »Steve Jobs aus Kampanien«, weil er für Arbeitsplätze in der Region sorgt.

Die Jahresbilanz 2015 der gesamten Holding, zu der neben den Windparks auch Hotels und ein Zeitungsverlag gehören, betrug 83,8 Millionen Euro. Windenergie ist allerdings auch eine Investmentbranche der organisierten Kriminalität in Süditalien. In Sizilien und Kalabrien wurden Windparks der Mafia beschlagnahmt. In Kampanien wurde bislang »nur« wegen Mauscheleien bei den Zertifikaten für die Windparks zulasten des Staates ermittelt, auch gegen Oreste Vigorito. Beneventos Vereinspräsident landete für kurze Zeit sogar im Gefängnis.

Ganz frisch und rein ist der Wind, der Benevento ins Oberhaus des italienischen Fußballs wehte, wohl nicht. Da muss man dann wieder zum alten Hexenschnaps als Aromaverbesserer greifen.

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