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Die RAF ist Teil unserer Geschichte
Was denken junge Aktivistinnen und Aktivisten heute über die Rote Armee Fraktion?
Die Rote Armee Fraktion (RAF) hat sich 1998 aufgelöst, aber 40 Jahre nach dem Deutschen Herbst 1977 wird über sie wieder viel gesprochen und geschrieben. Wir haben nachgefragt, was junge Aktivist*innen heute noch mit der deutschen Stadtguerilla verbinden. Nach der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SDAJ, Lena Kreymann, schreibt nun die Göttinger Gruppe Antifaschistische Linke International dazu ihre Meinung.
In diesem Jahr jährt sich die »Offensive 77« der Roten Armee Fraktion (RAF) zum 40. Mal. Während nach G20 in den bürgerlichen Medien das Gespenst »linker Terror« umgeht, stellt sich für uns, als Teil der radikalen Linken in Deutschland, die Frage nach der Bedeutung der Stadtguerilla für unsere Politik. Aufgrund des Jahrestages beziehen wir uns im Folgenden auf die RAF. Weitere bewaffnet kämpfende Gruppen in der BRD, wie die Bewegung 2. Juni oder die Revolutionären Zellen/Rote Zora betrachten wir ebenso als Teil unserer Geschichte.
Diskussion um Gewalt als Mittel
Die Frage der Mittel ist eine Frage, die in der Linken immer wieder und immer auch kontrovers diskutiert wurde. Dabei ging und geht es auch immer um das Verhältnis zum bewaffneten Kampf und jenen Gruppen, die ihn führen. Das Grundproblem: der Widerspruch zwischen dem Ziel einer gewaltfreien, befreiten Gesellschaft und der zu ihrer Errichtung notwendigen Gewaltausübung. Denn die Geschichte der Kämpfe um Befreiung macht deutlich: Die Herrschenden, in unserer Zeit Kapital und bürgerlicher Staat, griffen immer zu brutaler Gewalt, wenn die Beherrschten an den Säulen ihrer Macht rüttelten.
Für den bürgerlichen Staat und die Faschisten existiert der Widerspruch zwischen Ziel und Mitteln nicht. So nimmt die herrschende Klasse für ihre Staatsorgane das alleinige Recht zur Gewaltanwendung in Anspruch. Dies ist auch nötig, um die kapitalistische Gesellschaft, eine Ordnung, deren Basis die Gewalt der Ausbeuter gegen die Ausgebeuteten ist, überhaupt aufrechtzuerhalten. Letztendlich steht immer die Drohung im Raum, dass zugeschlagen wird, gegen all jene, die sich nicht in Konformität unterwerfen oder die Verhältnisse infrage stellen. In der faschistischen Ideologie ist die Legitimität der Gewalt schon in der Annahme angelegt, dass Menschen in ungleichwertige Gruppen einzuteilen seien und es demnach immer Herren und Sklaven, immer auch »unwertes Leben« gäbe.
Historisch zu beantwortende Frage
Die Linke hat die Frage nach dem richtigen Vorgehen immer auch historisch zu beantworten. Dabei heiligt weder der Zweck die Mittel, noch kann es universell und zeitlos gültige Antworten geben. Die GenossInnen der RAF sahen sich mit einem Staat konfrontiert, welcher in den 30 Jahren seit dem Ende des deutschen Faschismus daran arbeitete, selbst die kleinsten Lehren aus der faschistischen Herrschaft zu beseitigen. Einem Staat, der sich wiederbewaffnete, Sondergesetze erließ und über die Wiedereinführung der Todesstrafe debattierte; der Naziverbrecher wieder einsetzte und in antikommunistischer Tradition Linke verfolgte.
Zu dieser Geschichte gehören auch der Polizeimord an Benno Ohnesorg, drei Freisprüche für seinen Mörder Karl-Heinz Kurras, der brutale imperialistische Krieg in Vietnam und Berufsverbote gegen Linke. Durch die Geschichte der RAF ziehen sich – von Holger Meins 1974 bis Wolfgang Grams 1993 – Tötungsaktionen des Staates. Einen Höhepunkt erreichten diese im Herbst 1977 mit der »Todesnacht von Stammheim«, in der Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Andreas Baader ums Leben kamen. Wer von diesem Staatsterror nicht sprechen will, sollte vom »RAF-Terror« schweigen.
Ungebrochene Kontinuität
Der Versuch des bewaffneten Kampfes war auch der Versuch, einen Bruch mit der faschistischen Kontinuität zu erzwingen, den es in der BRD nie gegeben hatte. Dieser Bruch hat bis heute nicht stattgefunden. Dass keine Nazis mehr in Amt und Würden sind, hat biologische, keine politischen Gründe. Auch 40 Jahre später gedenkt Bundespräsident Steinmeier dem SS-Verbrecher und späteren Chefausbeuter Hanns Martin Schleyer als »Opfer«. Unsere Verbundenheit mit den GenossInnen der RAF gründet nicht zuletzt darauf, dass uns derselbe Staat gegenübersteht. Während heute Faschisten in Bundeswehr und Polizei Anschläge und Todeslisten vorbereiten, verbietet dieser linke Medien und veranstaltet regelrechte Schauprozesse gegen Menschen, die es gewagt haben gegen die Weltordnung der G20 zu protestieren.
Auf der gleichen Seite der Barrikade
Der Ansatz Stadtguerilla ist in der BRD gescheitert – und mit ihm die RAF. Es spricht für sich, dass es dem Staat nicht gelang, die RAF militärisch zu besiegen. Schlussendlich konnte sie ihrer eigenen Theorie nicht gerecht werden. Statt Impulsgeber und Schutz für Bewegung auf der Straße zu sein, wurde sie durch den Staat in eine Blutsfehde gezwungen, die mit ihren militärischen und propagandistischen Mitteln nicht zu gewinnen war.
Theorie und Praxis der RAF sind nicht die unseren, aber wir stehen immer noch auf der gleichen Seite der Barrikade. Uns verbinden die grundsätzlich antagonistische Haltung gegenüber diesem Staat und der Anspruch, einen Beitrag im Kampf für eine neue Welt des Friedens und der Freiheit zu leisten. Die GenossInnen der RAF haben dabei bewusst das Angebot der privilegierten Teilhabe im imperialistischen Zentrum ausgeschlagen und sind den Bruch mit diesem System eingegangen. Diese konsequente Haltung kann uns auch heute ein Vorbild sein.
All denen, die trotz Knast, Untertauchen oder Exil immer noch aufrecht gehen, wünschen wir Gesundheit und Glück. Der Kampf geht weiter!
Die Göttinger Gruppe Antifaschistische Linke International »A.L.I.« ist in der Interventionistischen Linken organisiert. Ihr Text wurde redaktionell bearbeitet.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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