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Menschen, nicht Grenzen schützen
Bis Sonntag liegt in Treptow ein Flüchtlingsschiff aus Lampedusa im Hafen
Ernst stehen sie an der Reling. Sie blicken mit festen Blick in eine ungewisse Zukunft. 81 Bronzefiguren, bekleidet mit zerschlissenen Tüchern und zerrissenen Hemden. Es sind Männer, Frauen, Kinder, einige könnten aus dem östlichen Afrika, andere aus Asien stammen. Sie stehen symbolisch für die vielen tausend Namenlosen, die im Mittelmeer ertrunken sind und noch ertrinken werden. Geschaffen hat sie der dänische Bildhauer Jens Galschiøt.
»Das Schiff ist der Hingucker«, sagt Gerald Mennen, geschäftsführender Vorstand der Outlaw-Stiftung, die das Projekt organisiert hat. Zwei Monate steuerte die Crew der Al-hadj Djumaa von Bremen über Papenburg, Duisburg, Magdeburg und Dresden nach Berlin. Bis Sonntag werden am Liegeplatz am Treptower Park Diskussionen, Ausstellungen, eine Lesung und Musikdarbietungen stattfinden. Dazu haben die Aktivisten ein Zelt und eine Bühne aufgebaut.
»Schon das Schiff ist besonders«, erzählt Mennen. Es wurde 2013 mit 282 Menschen an Bord vor Lampedusa von der italienischen Küstenwache beschlagnahmt. Die niederländische Reederei Lampedusa konnte es ausleihen und führt seitdem thematische Grachtenfahrten mit dem Schiff durch. »Es ist ein gutes, durchaus seetüchtiges Schiff«, sagt Mennen. Mittlerweile würden Flüchtlinge meist auf billigen Schlauchbooten aus China auf die Reise nach Europa geschickt.
»Schiffsreisen sind in der DNA von Outlaw fest verankert«, berichtet Mennen. Nach der Gründung der Stiftung organisierte sie Schiffsreisen mit straffällig gewordenen Jugendlichen, um sie vor dem Knast zu bewahren. Über den Hintergrund der jetzigen Aktion sagt er: »Wir betreuen in unseren Einrichtungen viele Kinder und jugendliche Geflüchtete. Uns war wichtig, dazu eine Position zu finden.« Deshalb setzten sich Mitarbeiter der Stiftung mit Experten zusammen und verfassten die »Norderneyer Erklärung«, die nun als »ideologische Grundlage« für die Schiffsaktion gilt. Outlaw betreibt auch in Berlin neun Kindergärten.
Nicht immer werde positiv auf die Aktion reagiert, erzählt Mennen. In Magdeburg kündigte die AfD an, das Schiff nicht anlegen zu lassen, in Dresden gab es eine Gegendemo. Dort habe man schließlich einige AfDler überzeugen können, an Bord zu kommen und in die Auseinandersetzung zu treten. »Wir haben eine Stunde geredet«, so Mennen. Er ist überzeugt, dass man auch mit AfD-Wählern diskutieren muss. »Es gibt unter den 13 Prozent, die die AfD gewählt haben, viele, die auf der Suche nach Antworten sind. Wenn man hier auf dem Schiff steht, begreift man etwas, es ist emotional bewegend.« Das helfe bei Diskussionen, hat Mennen erfahren.
Auch Valentin Lülsdorf aus Bremen, der als Freiwilliger vier Wochen mitfuhr, berichtet von solch bewegenden Momenten bei der Tour. Die Bronzefiguren seien über die Zeit zu Mitreisenden geworden, einigen hätten sie Namen gegeben, und hin und wieder ertappe man sich, wie man zu ihnen spricht, so Lülsdorf. Seine Kollegin Nora, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, berichtet von vielen Gesprächen mit Geflüchteten, die an Bord gekommen seien und – animiert vom Ambiente – von ihren persönlichen Erlebnissen erzählt hätten. Erlebnisse, die die Mitreisenden zum Teil an der nächsten Station weitererzählt hätten.
Im Treptower Hafen ist für den gesamten Sonnabend und Sonntag Programm geplant. Die Tanzgruppe »Auf der Flucht« soll auftreten, die Organisation SOS Méditerranée einen multimedialen Vortrag über die Rettungsmission im Mittelmeer präsentieren und das Grips-Theater am Sonntag die Bühne mit dem Programm »Mensch willkommen! on tour« bespielen.
»Wenn wir die UN-Menschenrechtscharta und die Kinderrechtsdeklaration beachten, dann ist schon viel gewonnen«, meint Gerald Mennen, gefragt nach seinen Visionen für einen besseren Umgang mit Flüchtlingen. »Wir Menschen müssen keine Grenzen schützen, wir müssen Menschen schützen.«
Am Freitagnachmittag wurden zur Begrüßung des Schiffes in der Hauptstadt der Beauftragte des Senats für Integration und Migration, Andreas Germershausen, erwartet sowie der Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, Oliver Igel (SPD). Igel sagte im Vorfeld: »Bei denen, die die beschwerliche Reise auf sich nehmen, handelt es sich um Menschen. Um Menschen, die einen sicheren Ort und eine sichere Zukunft für sich und ihre Familien suchen.« Das müsse wieder verstärkt in den Blick genommen werden.
»Mit Sicherheit gut ankommen« – ein Schiffsprojekt zu Flucht und Migration. Bis 1. Oktober im Treptower Hafen, S-Bahnhof Treptower Park
Das Programm ist im Internet zu finden unter: www.outlaw-diestiftung.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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