Es droht die Zerstörung eines Abkommens

Trump will multilaterale Atomvereinbarung mit Iran kippen / Beifall allein von Netanjahu

  • Oliver Eberhardt, Erbil
  • Lesedauer: 3 Min.

Selten hat es in Iran einen derart offenen Kampf um die öffentliche Meinung gegeben. Immer wieder preisen die Befürworter des Atomabkommens mit dem Westen die Vorzüge des Deals: »Wir haben davon profitiert, auch wenn wir die vollständige Aufhebung der Sanktionen noch nicht erreicht haben«, sagte Präsident Hassan Ruhani erst am Samstag. Und wenn er und seine Minister öffentlich darüber reden, dann nutzen sie auch jede Gelegenheit, ihren größten Gegenspieler als »Idioten« (Außenminister Dschavad Zarif), oder »Großen Spinner« (Präsident Hassan Ruhani) zu bezeichnen.

Denn die Stimmung in den USA ist aufgeheizt: Mitte Oktober muss sich Präsident Donald Trump gegenüber dem US-Kongress dazu äußern, ob sich Iran an das Abkommen hält. In einer Rede vor den Vereinten Nationen hatte er die Vereinbarung als »peinlich für die Vereinigten Staaten« und Iran als »wirtschaftlich erschöpften Schurkenstaat« bezeichnet, der Gewalt exportiere, und behauptet, Iran erfülle seine Verpflichtungen nicht. US-Medien berichteten, Trump habe sich bereits entschieden und werde empfehlen, dass die USA das Abkommen kündigen.

Die Trump-Rede wurde in Iran als Beleidigung aufgefasst. Sie hat die militärischen Falken, die über Jahre hinweg marginalisiert waren, gestärkt. Erstmals seit fast einem Jahr war Ali Dschafari, Oberkommandierender der Revolutionsgarden, in der vergangenen Woche zum Gespräch bei Ajatollah Ali Khamenei, der wiederum, was sehr unüblich ist, ein Gespräch zwischen Dschafari, dessen Generalstab und Ruhani anordnete, und dies auch so über die Medien verbreiten ließ. Es sei ein »konstruktives, aber kritisches Gespräch über die von der Regierung eingegangen Verpflichtungen« gewesen, sagte Dschafari danach auf einer Pressekonferenz; man habe die eigenen Bedenken zum Ausdruck gebracht.

Die europäischen Regierungen, Russland und China haben sich durchweg hinter das Abkommen gestellt; es gebe keine vernünftige Alternative, heißt es durchweg. Nur Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bejubelt Trump: »In mehr als 30 Jahre habe ich noch keine kühnere oder mutigere Rede vor den Vereinten Nationen gehört.« Allerdings steht er dafür selbst zu Hause in der Kritik: Trump treffe Entscheidungen auf Grund von »alternativen Fakten«, sagte Naftali Bennett, Bildungsminister und Chef der der Siedlerbewegung nahestehenden Partei »Jüdisches Heim« am Sonntag; als Beleg führte er US-Botschafter David Friedman an, der in der vergangenen Woche behauptet hatte, Israel habe nur die Kontrolle über »zwei Prozent« des Westjordanlandes. Bennett: »Die Zukunft Israels wird nicht im Paralleluniversum gesichert.«

Zudem haben die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), Angehörige des US-Generalstabs und eine Vielzahl von israelischen Militärs und Geheimdienstlern Trump widersprochen: Iran erfülle sehr wohl seine Verpflichtungen. In Israel wird Netanjahu, der bereits 1997 als erster und auch bislang einziger Politiker im Land Iran zu seinem außenpolitischen Hauptthema machte, eine »fast manische Fixierung« (Ex- Ministerpräsident Ehud Barak) auf Iran vorgeworfen.

Stattdessen suche er die Nähe zu Ländern wie Saudi-Arabien, das einen ausgesprochen brutalen Krieg in Jemen führt, und Brutstätte einer Reihe von Terrorgruppen ist, von denen einige im Gazastreifen und auf der Sinai-Halbinsel aktiv sind: »Das Atomabkommen ist nicht gut, aber ich habe noch keinen besseren Vorschlag gesehen«, sagt Barak: »Ein Militäreinsatz hätte mit Sicherheit katastrophische Konsequenzen.« Bei seinen Vorwürfen scheint sich Trump indes nicht auf alle Aspekte des Abkommens bezogen zu haben, sondern nur auf einen aktuellen Streit über den Abschnitt, wer die Einhaltung überwachen soll.

Darin ist das Verbot von »Aktivitäten, die zur Entwicklung von Atomwaffen beitragen können« geregelt; etwa die Nutzung von Computer-Modellen. In dem Abschnitt wird die IAEA nicht genannt; die russische Regierung ist deshalb der Ansicht, dass die IAEA kein Mandat in der Frage hat. Die westlichen Unterzeichner des Abkommens und die IAEA bestreiten das, und hatte sich vor Trumps Rede eine Einigung abgezeichnet, Iran ein Einlenken signalisiert sind die Gespräche darüber nun verstummt.

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