- Wirtschaft und Umwelt
- Frankreich
Werftübernahme schlägt Wellen
Deutsche Schiffbauindustrie fürchtet um Aufträge und Arbeitsplätze
Kaum im Amt, wich Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron von seiner wirtschaftsliberalen Politik ab und verstaatlicht die größte Schiffswerft. Ende Juli machte der französische Staat von seinem Vorkaufsrecht bei STX in Saint-Nazaire Gebrauch. Macron begründet den Schritt mit der Sorge um Wirtschaft und Jobs. Schuld an den Sorgen ist die Pleite des südkoreanische Schiffbauers STX Offshore & Shipbuilding, einem der größten der Welt. Die Schifffahrtskrise hatte STX härter als andere getroffen: Finanzierungen kippten, Reeder zogen Aufträge zurück und neue Order für gingen nur noch spärlich ein. Auch in Europa betrieb STX mehrere Werften. Im Rahmen des seit 2016 laufenden Insolvenzverfahrens musste der Konzern sich von seinem europäischen Flaggschiff an der französischen Atlantikküste trennen.
Mit der Verstaatlichung von STX Saint-Nazaire (früher Alstom) düpierte Präsident Macron Italien und schuf sich eine günstige Ausgangsposition für Verhandlungen mit Fincantieri. Italiens börsennotierter, aber staatlich kontrollierter Schiffsbauer hatte sein Interesse bereits im Mai signalisiert. Nun übernimmt er die Mehrheit. Fincantieris größte Werft in Triest stößt bei Kreuzfahrtschiffen von 250 Metern Länge an ihre Grenzen. In Saint-Nazaire wurde dagegen das größte Traumschiff der Welt, die »Harmony of the Seas«, mit einer Länge von 360 Metern gebaut.
Die »weißen« Dampfer sind neben den »grauen« Kriegsschiffen finanziell der Renner für Werften. Bis zu einer Milliarde Euro teuer, werden sie bislang ausschließlich in Europa gefertigt. Durch den Zusammenschluss der beiden Werftriesen aus Italien und Frankreich verändert sich jedoch der Markt grundlegend. »Die Übernahme führt zu einer erheblichen Verschiebung der Machtverhältnisse im europäischen Schiffbau«, warnte am Mittwoch ein Sprecher der IG Metall Küste in Hamburg. »Im Kreuzfahrtschiffbau haben wir es künftig mit einem Duopol zu tun, abgesehen von einem kleineren Anteil für MV Werften.«
Der große Gegenspieler der neuen Großwerft Fincantieri/STX sitzt in der niedersächsischen Provinz. Wann durch die Übernahme in Frankreich der Konkurrenzdruck steigen wird, lässt sich auch für Branchenkenner noch nicht abschätzen. Bislang sind die Auftragsbücher der vier europäischen Kreuzfahrtwerften gut gefüllt. Die Meyer Werften in Papenburg und im finnischen Turku haben Verträge für insgesamt 18 besonders teure Neubauten, war kürzlich auf der Leitmesse der Branche, der »Seatrade Europe« in Hamburg, zu erfahren. Die italienische Fincantieri-Gruppe baut 29 Kreuzfahrtschiffe, deren Auslieferung bis 2025 vorgesehen ist. Durch STX kommen zwölf Aufträge hinzu.
Härter, weil neu im Geschäft, könnte es die Genting-Gruppe treffen. Das malaysische Tourismus-Unternehmen will auf seinen Werften in Wismar, Rostock-Warnemünde und Stralsund zunächst sechs Kreuzfahrtschiffe bauen. Die MV Werften sehen sich selber als »das Herz der maritimen Industrie Mecklenburg-Vorpommerns«. Dort will Genting die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt entwickeln und bauen lassen.
Auswirkungen hat die französisch-italienische Liaison auch auf die von der EU angestrebte engere Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie. Im Marineschiffbau sieht die IG Metall »die Gefahr, dass bei europaweiten Ausschreibungen die deutschen, privaten Werften gegen (fast) staatliche Großwerften unterliegen«. Staatswerften könnten günstiger kalkulieren als private Firmen.
Die neue Bundesregierung sei gefordert, die Beschaffungspraxis zu korrigieren. Sie müsse entscheiden, was Schlüsseltechnologien sind und für eine entsprechende Auslastung sorgen. »Für uns«, so der Gewerkschaftssprecher, »gehört neben dem U-Boot-Bau auch der Überwasserschiffbau dazu.« In der Industrie wird nun wieder ein »Airbus im Schiffbau« erwogen. Doch bei Thyssen-Krupp und der Lürssen-Werft scheint die Begeisterung gegen null zu gehen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!