Konsensorientierter Politiker

Irak trauert um seinen ersten nichtarabischen Staatspräsidenten

  • Heinz Odermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Wir begegneten uns das erste Mal beim Suchen und Zählen von Bäumen in der Millionenstadt Sulaimaniyya in Irakisch-Kurdistan. Dschalal Talabani wollte seine Stadt grün haben, mehr Bäume in den Straßen und auf den Plätzen. Er war ein Politiker nicht nur der »großen Politik«, sondern er widmete sich auch den so genannten kleinen Dingen des Lebens wie einer grünen Landschaft in der Großstadt Sulaimaniyya. Talabani war als Generalsekretär der Patriotischen Union Kurdistans ein Förderer des modernen Stadtbildes. Und er war einer der Großen auch in der kurdischen Geschichte, der bisher einzige kurdische Staatschef Iraks.

Nach kurzer Zeit des Kennenlernens gewährte er mir damals eine Audienz mit anschließendem Mittagessen in großer Runde, voran der einstige Präsident der kurdischen Nationalversammlung, Dr. Kamal Fuad, der seine Doktorarbeit in der DDR an der Humboldt-Universität zu Berlin erfolgreich verteidigt hatte.

Wir diskutierten aktuelle Fragen des Landes, vor allem aus wirtschaftlichem Aspekt, weil die Diktatur des irakischen Staatschefs Saddam Hussein sehr vieles im Norden des Landes, also in der kurdischen Region, vernichtet hatte, vor allen Dingen Wälder. Zehntausende von Bäumen waren gefällt worden, damit Saddams Truppen ein besseres Schussfeld gegen die Peschmerga, die kurdischen Freiheitskämpfer, haben sollte.

Talabanis Leben galt der politischen Freiheit und dem wirtschaftlichen Aufstieg des kurdischen Volkes nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch Saddam. In der schweren und opfervollen Zeit der Abwehrkämpfe gegen die Armee des irakischen Diktators war sein gesamtes Streben darauf gerichtet, die Einheit der kurdischen Freiheitsbewegung zu sichern. Er unterstützte die Parlamentsabgeordneten in der heutigen Kurdenhauptstadt Erbil, die in den Hungerstreik traten gegen die Zerrissenheit der kurdischen Bewegung, und er setzte sich für das Ende des Bruderzwistes und für die Einheit der Freiheitsbewegung ein.

Talabani war ein Freund des deutschen Volkes. In Westberlin gründete er 1976 die Patriotische Union Kurdistans (PUK). Aus der DDR fanden er und seine Bewegung stets eine ehrliche aufrichtige Unterstützung. Als Generalsekretär der PUK führte er zusammen mit dem Präsidenten der Demokratischen Partei Kurdistans, Massud Barsani, das kurdische Volk in die neue Zeit der politischen Autonomie in der Region Kurdistans. Er steuerte maßgeblich den Aufbau des Landes nach der Zerschlagung der Diktatur Saddams durch die US-amerikanischen Streitkräfte, die die kurdischen Peschmerga schon zuvor in vieler Hinsicht gestützt hatten.

Talabani war nach Saddams Hinrichtung der erste Staatspräsident Iraks kurdischer Provenienz - ein Amt, das er mit großer Umsicht führte. Er versuchte, zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen des Landes zu vermitteln, sowohl zwischen Arabern und Kurden als auch zwischen Schiiten und moderaten Sunniten.

Talabani war wesentlich beteiligt an der Idee moralisch-politischer Grundlage eines neuen föderativen Staates Irak. Die arabischen nationalistischen Kräfte liefen Sturm gegen seine fortschrittlichen Ideen. Sie begriffen nicht, dass es mit den gegenwärtigen ethnischen und religiösen Konflikten keine Vision für die Zukunft Iraks gibt. Zu mir sagte er einmal bei einer Zusammenkunft in Sulaimaniyya: »Wir müssen stets vor Augen haben, dass es keinen besseren Weg zum Frieden in unserer Gesellschaft gibt, als beharrlich und mit festem Glauben an eine gute Zukunft für die Versöhnung und die politische Vernunft zu wirken.«

Nach dem Tod Talabanis ist in dem Land eine dreitägige Staatstrauer angeordnet worden. Ministerpräsident Haidar al-Abadi entsandte am Mittwoch seinem Büro zufolge ein Flugzeug nach Berlin, um die Leiche Talabanis dort abzuholen. Der 83-Jährige war am selben Tag in einer Klinik in Berlin gestorben.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal