Das Widrige tapfer ertragen

Eine Liebe in Zeiten des Terrors: Joy und Günther Weisenborns Briefe und Kassiber

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 6 Min.

Er kam in seine Zelle und wunderte sich, dass er so ruhig und gefasst war. Der Reichskriegsanwalt hatte ihm soeben mitgeteilt, dass er die Todesstrafe zu erwarten habe. Kurz nach neunzehn Uhr an diesem 5. Februar 1943 setzte sich Günther Weisenborn hin, um Joy, seiner ebenfalls am 26. September 1942 von der Gestapo verhafteten Frau, die Nachricht zu übermitteln. »Es ist furchtbarer Ernst geworden«, schrieb er. Und: »Muss ich sterben, so werde ich tapfer und schweigsam sterben. Es ist Krieg. Die einen fallen in Stalingrad, die anderen in Plötzensee.«

Weisenborn hatte Glück. Am nächsten Tag, in der Verhandlung, wurde das Urteil in eine Zuchthausstrafe von drei Jahren umgewandelt. »Ich muss mich erst sammeln«, gestand er erleichtert. »Ich bin sehr müde. Und sehr einsam. Es waren die schwersten Tage meines Lebens.« Später, nach dem Krieg, wird er von alledem in seinem Buch »Memorial« erzählen, dem eindrucksvollen Bericht über die Monate der Nazihaft, die Verhöre, die Isolierung (»gefesselt in einer absolut ungeheizten Kellerzelle ohne ein Buch, hungrig, fast im Dunkeln«), die Ängste, das alles kontrastreich durchsetzt mit den Erinnerungen an die helle Zeit davor, die Studententage, die Reisen, die Feste, die Arbeit als Theaterdramaturg, die Bühnenerfolge. Damals, als die Eheleute in ihren Zellen saßen, schickten sie sich, wann immer es möglich war, Briefe und Kassiber. Sie sind fast vollständig erhalten geblieben. Joy Weisenborn hat die Schreiben und die Gedichte ihres Mannes, als sie entlassen wurde, mitnehmen können, und später, als man ihr den Koffer ihres Mannes aushändigte, fand sie zwischen Wäsche, Wanzen und Manuskripten auch die eigenen Briefe.

Elisabeth Raabe veröffentlichte die Korrespondenz 1984 unter dem Titel »Einmal laß mich traurig sein« im Zürcher Arche-Verlag. Der Band fand kaum Beachtung. 2008 erschien er, kombiniert mit Zitaten aus »Memorial«, dort noch einmal, und jetzt, fünfundsiebzig Jahre nach der Zerschlagung der Widerstandsgruppe Schulze-Boysen-Harnack durch die Gestapo, haben die Söhne Christian und Sebastian Weisenborn, unterstützt von Hans Woller, die Briefe unter dem Titel »Liebe in Zeiten des Hochverrats« bei C. H. Beck erneut publiziert, ergänzt mit den Tagebüchern, die ihre Mutter seit dem Frühjahr 1943 für ihren Mann geführt hat.

Das Buch erzählt von zwei Liebenden, die sich, bewundernswert stark und fest, nicht ihrem Elend überlassen. »Wir haben so viel Schönes erlebt«, schreibt Weisenborn, der nicht aufhören wird, an besondere Tage und Ereignisse zu erinnern, »jetzt wollen wir auch das Widrige mit Anstand und tapfer ertragen … Ich bin ganz ruhig und gelassen, sei Du es auch! Das ist meine Bitte jeden Tag.« Oder er malt sich aus, was sie tun werden, wenn sie wieder in Freiheit sind und er sie in ihrem Atelier besucht. Er arbeitet, entwirft Stücke und Pläne, schreibt: »Wir müssen uns eben im Leid schon heimlich auf die schöne Zukunft innerlich vorbereiten, wir müssen sie uns verdienen, durch Tapferkeit.« So sind alle diese Briefe, Liebesbekundungen und Mut-mach-Zeilen, zärtlich und voll stiller Zuversicht. Keine Klagen, kein Jammern, kein Selbstmitleid. Beide trotzen der Kälte, dem Hunger, der Einsamkeit. Natürlich: Die Ungewissheit quält, wird zur Marter, wenn die erwarteten Lebenszeichen ausbleiben, weil Weisenborn Schreibverbot erhält oder eine Nachricht seiner »Schicksalsfrau« nicht ankommt.

Dann, am 12. April 1943, die Überraschung: »Es ist kaum zu fassen!«, schreibt Joy in ihr Tagebuch. »Ich bin frei! Nach dieser harten Prüfungszeit, es waren 199 Tage, der 200. sollte mein Freiheitstag sein! Strahlender Himmel! Frühlingssonne! Blüten! Blumen! Freiheit!« Von nun an hält sie alles, was sie denkt, tut und wünscht, in diesem Journal fest, ihre Sehnsucht und Freude, die Sorge um den anderen, die Bemühungen, wieder arbeiten zu können, die Schrecken der Bombennächte. Als man Günther Weisenborn ins Zuchthaus Luckau bringt, fährt sie los, um ihn wenigstens für ein paar Augenblicke zu sehen, wenn die Gefangenen morgens zur Arbeit aufbrechen. Die Eintragungen reichen bis in die ersten Nachkriegswochen. Da wartet sie noch immer auf die Rückkehr ihres Mannes, den die Rote Armee nach der Befreiung der Häftlinge als Bürgermeister in einigen Dörfern rund um Luckau eingesetzt hat. Keiner weiß, wo er in den Wirren jener Tage den anderen findet. Die Aufzeichnungen enden mit der zufälligen Begegnung beider auf einer Straße.

Diese rühmenswerte Edition ist ein Akt der Gerechtigkeit. Sie gibt Günther Weisenborn, der ja ein großartiger und erfolgreicher Theater-, Hörspiel- und Romanautor war, die verlorene Stimme zurück, und sie würdigt zugleich die Widerstandsgruppe, die von der Gestapo als »Rote Kapelle« zur Spionagetruppe der Sowjetunion erklärt wurde. Die Justiz der alten Bundesrepublik hat diese Lesart bis in die neunziger Jahre ohne Abstriche übernommen und dafür gesorgt, dass die einst Verfolgten, noch immer als Landesverräter angesehen, Stigmatisierte blieben. Hans Woller, Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte, verfasste für den Band zwei notwendige, begrüßenswert umfangreiche und detaillierte Aufsätze. Er bricht damit auch das unfassbar lange Schweigen über den 1969 gestorbenen Weisenborn (dem die Hamburger »Zeit« nicht einmal einen Nachruf gönnte) und seine Arbeit gegen die Nazis. Vorn erzählt Woller, was es mit der Gruppe auf sich hatte, wie das Ehepaar Weisenborn zu den Widerstandskämpfern fand. Und am Ende des Buches erfährt der Leser, wie es mit beiden weiterging. Wie Joy, von der Haft geschwächt, häufig krank, sich nach Ruhe sehnte, und er, Weisenborn, rastlos beinah übermenschliche Aktivitäten entwickelte, mithalf, das Berliner Hebbel-Theater aufzubauen, die Zeitschrift »Ulenspiegel« gründete, sein Stück »Die Illegalen« und das Erinnerungsbuch »Memorial« schrieb, die von Ricarda Huch geplante und von ihm übernommene Dokumentation »Der lautlose Aufstand« publizierte. Dazu kamen die zeitkritischen Romane »Auf Sand gebaut« und »Der dritte Blick«, Theaterprojekte mit Brecht und Eisler, Filme, Vorträge, Reisen, neue Stücke und ständig neue Ideen.

Weisenborn, der 1964 von Hamburg nach Westberlin zog, ist wegen seiner Kontakte zu Schriftstellern und Verlagen der DDR, seiner Wahl zum Korrespondierenden Mitglied der Ostberliner Akademie der Künste, auch wegen seiner Aktivitäten gegen die bald dominierende Praxis, den Widerstand gegen die Nazis auf den 20. Juli zu reduzieren, von Boulevardpresse und konservativen Kräften immer wieder attackiert worden. Finanziell ohnehin nicht auf Rosen gebettet, liebäugelte er mit dem Gedanken, seinen Wohnsitz in der DDR zu nehmen (was die Familie verhinderte). Er starb, krank nach der langen Haft und schwer verletzt nach einem Unfall, mit sechsundsechzig Jahren. Joy, leidenschaftliche Malerin und Bildhauerin, überlebte ihn um fünfunddreißig Jahre. Es hat lange gedauert, bis sie die Briefe aus der Haftzeit für die Publikation freigab. Ihre Tagebücher blieben unter Verschluss. Hier, in dieser berührenden Edition, kann man sie zum ersten Mal lesen.

Joy und Günther Weisenborn: Liebe in Zeiten des Hochverrats. Tagebücher und Briefe aus dem Gefängnis 1942 - 1945, hg. von Christian und Sebastian Weisenborn und Hans Woller. C. H. Beck, 298 S., geb., 24,95 €.

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