Ohne Sprache, voller Botschaft

Mit »Nebelland« zeigt der Circus Schatzinsel beeindruckendes Jugendtheater zum Flüchtlingsthema

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Neben der Gender-Thematik gehört die Flüchtlingsproblematik zu den Themen, die hierzulande kaum noch sachlich diskutiert werden können. Die Spannweite der Meinungen reicht von »Alle Flüchtlinge raus« bis zum totalen Gegenteil. In unterschiedlichsten Medienforen schlagen sich Diskutierende virtuell die Köpfe ein. Es offenbart sich da eine eiserne mentale Mauer.

Ungeheuer erfrischend wirkt deshalb, wie eine Truppe Jugendlicher sich dem Thema nähert: In dem vom Circus Schatzinsel inszenierten einstündigen Stück »Nebelland« zeigen Jugendliche aus Deutschland, Syrien und Afghanistan eine Art Artistik-Performance-Theater, in dem mit viel Bewegung, mit Tanz, mit figurenhaften Aufstellungen und nicht zuletzt mit gelungener Akrobatik demonstriert wird, wie Vorurteile in Konflikte umschlagen und wie diese wieder gelöst werden können - und das alles, ohne dabei auch nur ein einziges Wort zu sprechen!

Sitzt man im Zuschauerraum, einem typischen Zirkuszelt, kann sich schon schnell die Frage aufbauen: Zirkus und Theater, wo überschneiden sich diese zwei klassischen Spielformen? In »Nebelland« kann man sehen, wie beide Formen ineinandergreifen können. Das Stück beginnt, indem eine Truppe Jugendlicher das Zelt betritt und sich über die Spielfläche verteilt. Damit setzt auch die Musik ein, die das Spiel unentwegt begleitet. Man kann diese Musik als »dramatische Komposition« bezeichnen, durchdrungen von Elementen des Techno, Anklängen aus arabischen Tonwelten und anderen Musikstilen.

Die Spieler laufen aufeinander zu, berühren sich, bilden Ketten, die wieder auseinanderstreben, haben lange Stöcke in der Hand, mit denen sie auf andere Spieler zeigen und mit denen sie kleine Kämpfe ausfechten. Die Jugendlichen klettern aufeinander, bilden dabei so klassische Figuren wie eine Pyramide, teilen sich dann auf in zwei Lager, zwei Fronten, die einander feindlich gegenüberstehen. In all diesen Bewegungen geben Spieler zwar Töne von sich, artikulieren sich lautmalerisch, aber sprechen nie ein Wort. Dennoch sind die meisten Bewegungsabläufe schnell einleuchtend, rasch einzuordnen in das Gesamtspiel.

All diese Abläufe, die zu einem beeindruckenden Bewegungsgesamtkunstwerk führen, folgen einer erzählerischen Logik: von Neuem und Unsicherem über den Konflikt hin zur Harmonie. Das Ensemble stellt sich die Frage so: »Wie erlangen wir Freiheit und Gerechtigkeit aus Unterdrückung, Gleichschaltung und Diktatur?« Eine klassische Frage, die die Folgefrage aufwerfen kann: »Warum überhaupt sind Menschen so dumm, sich gegenseitig zu töten?« Die Bilder, die die Jugendlichen im Circus Schatzinsel durch ihre Aufführung zeigen, entsprechen dem klassischen Thema »Macht und Ohnmacht«. Diesem Thema nähern sie sich beeindruckend gut an.

Der Circus Schatzinsel ging aus dem bekannten Berliner Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi hervor. Hinter dem Zirkus steht ein Verein mit dem sinnigen Namen »Verein zur Überwindung der Schwerkraft«. Nomen est omen: Der Circus will Jugendlichen Selbstvertrauen geben, sie ermutigen, sich frei und kreativ auszudrücken, Toleranz zu leben.

Weitere Vorstellungen am 14. und 15., 20. und 21. Oktober. Circus Schatzinsel, May-Ayim-Ufer 4, Kreuzberg

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