»Es ist die Vielfalt, die uns siegen lässt«

Carme Porta im Interview über Puigdemonts Unabhängigkeitserklärung und darüber, was »katalonisch sein« eigentlich heißt

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy hat vom katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont Aufklärung darüber gefordert, ob dieser vergangenen Mittwoch die Unabhängigkeit Kataloniens verkündet hat oder nicht. In welcher Situation befinden wir uns?
Die Lage ist klar. Die Unabhängigkeit wurde formal erklärt, die Erklärung von einer Mehrheit von 72 Parlamentariern unterzeichnet. Puigdemont schlug aber vor, sie befristet auszusetzen, da innerhalb und außerhalb Kataloniens gefordert worden war, einen Dialog mit Spanien weiter zu ermöglichen.

Wie kam es zu der nun so verfahrenen Lage?
Über zehn Jahre hat sich Spanien jedem Dialog verweigert. Ein vom katalanischen Parlament mit großer Mehrheit 2006 beschlossenes Autonomiestatut wurde im spanischen Parlament beschnitten. Auf Antrag von Rajoys Volkspartei (PP) wurden über das Verfassungsgericht weitere wichtige Teile rausgebrochen, die schon per Referendum beschlossen worden waren. Und in all den Jahren wurden soziale und ökonomische Rechte massiv beschnitten.
Der »Nationale Pakt für ein Referendum« (PNR) hat dann eine Million Unterschriften gesammelt, um eine Abstimmung über die Loslösung zu fordern wie in Schottland und Quebec. Als Exekutivkomitee fuhren wird damit nach Madrid und wurden weder von der PP noch von den Sozialisten (PSOE) auch nur empfangen.
Und sie negieren weiter Realitäten, indem sie sagen, wir seien eine Minderheit. Dabei haben trotz der Gewalt und aller Verhinderungsversuche 2,3 Millionen Menschen abgestimmt und mehr als 90 Prozent für die Unabhängigkeit votiert.

Carme Porta

Carme Porta ist Mitglied der Esquerra Republicana de Catalunya (Republikanische Linke Kataloniens/ERC). Sie war 1999 erste Parlamentarierin der ERC im katalanischen Parlament. Porta war Mitglied des siebenköpfigen Exekutivkomitees des 2013 gegründeten »Nationalen Paktes für ein Referendum«. Mit ihr sprach für »nd« Ralf Streck. 

Was könnte nach der Unabhängigkeitserklärung denn Inhalt eines Dialogs sein?
Es geht jetzt nicht mehr um das Referendum, sondern darum, wie unter internationaler Vermittlung mit der Lage und der Unabhängigkeitserklärung umgegangen werden kann.

Wäre es möglich, sich auf ein Referendum zu einigen und erneut abzustimmen?
Im Prinzip Nein! Doch wenn Spanien das in einem Dialog vorschlagen würde, kann man auch darüber reden.

Wie hat Madrid auf das Dialogangebot geantwortet?
Rajoy hat ein Ultimatum gestellt und droht mit Artikel 155, also der Aussetzung der Autonomie, mit neuen Festnahmen und Anklagen wegen Aufruhr... Es wird versucht, Angst zu schüren. Firmen und Banken verlassen angeblich Katalonien, dabei wurden nur Firmensitze auf dem Papier verlegt, keine Filiale oder Fabrik wurde geschlossen.

Ist diese Strategie erfolgreich?
Es gelingt nicht, die Gesellschaft zu spalten. Vielleicht hat Katalonien keine großen Partner, die uns schon jetzt anerkennen, aber die gesamte Welt schaut auf uns.

War es Taktik von Puigdemont, die Unabhängigkeit wieder auszusetzen, um die Weltöffentlichkeit aufzuklären?
Davon gehe ich aus. Wir haben zuvor 18 Dialogangebote gemacht und unsere dauernde Verhandlungsbereitschaft gezeigt. Dahinter steht aber auch der Wunsch, einen weiteren Teil der Gesellschaft hier einzubinden, der ebenfalls den Dialog gefordert und Angst vor einer Konfrontation hat.

Wie erklären Sie im 21. Jahrhundert den Wunsch nach einem eigenen Nationalstaat?
Ich würde die Frage umdrehen und fragen: Wie kann es sein, dass in einem demokratischen Europa im 21. Jahrhundert der demokratisch formulierte Wille einer Mehrheit nicht respektiert wird? Es geht darum, die Welt zu verändern, sie von unten zu gestalten. Es sind die alten Strukturen, die das verhindern, die Ausbeutung von Mensch und Natur. Veränderungen in Spanien sind unmöglich, es fehlt an Respekt vor denen, die anders sein wollen.

Wen meinen Sie, wenn Sie von »den Katalanen« sprechen?
Wir sprechen dabei nicht von Ethnie, Blut und Boden. Katalonien ist geprägt von Einwanderung - seit der Zeit der Mauren, Westgoten oder Römer. Wir sind eine vielfältige Gemeinschaft. Hier werden 300 Sprachen gesprochen. Es ist diese Vielfalt, die uns siegen lässt. Spanien hingegen beeinträchtigt das Zusammenleben mit aggressiv nationalistischen Mobilisierungen, bei denen Einwanderer und alle angegriffen werden, die anders sind oder sein wollen.

Was passiert jetzt? Die linksradikale CUP und andere Kräfte fordern von Puigdemont, die Aussetzung aufzuheben und das Übergangsgesetz umzusetzen.
Ich denke, das wäre das Richtige. Es gibt eine vielfältige, friedliche und demokratische Mehrheit, die gehen will.
Wir haben es längst auch nicht mehr mit einem internen Konflikt zu tun, sondern einem europäischen. Entsprechend müsste gehandelt werden. Rajoy müsste dazu gebracht werden, die Unabhängigkeit anzuerkennen oder zu verhandeln.

Sie sehen sich bald in einem souveränen Katalonien?
Ja, klar. Das wird natürlich nicht in zwei Wochen sein, es wird eine Übergangsphase geben. Ich würde mir wünschen, dass das in Übereinkunft mit dem spanischen Staat geschieht, in Frieden und ohne die Konfrontation, die einige dort offenbar wollen.

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