- Politik
- G20-Aktivisten vor Gericht
»Von Fairness kann keine Rede sein«
Kim König von der Roten Hilfe Hamburg über die Verfahren gegen G20-Gipfelgegner
Haben Sie damit gerechnet, dass die Polizei so viele Verfahren zu Protesten gegen den G20-Gipfel eröffnet?
Bisher war in den Medien die Rede von 2000 Straftaten, die während der Gipfelproteste verzeichnet worden seien. Diese Zahl erscheint mir immens hoch. Die vermeintlichen Straftaten wurden bisher nicht weiter differenziert und nichts über die Schwere geäußert. Dass diese Zahl wahrscheinlich nach oben korrigiert wird und alle Straftaten auch Ermittlungsverfahren nach sich ziehen, halte ich für wenig verwunderlich. Es passt zum repressiven Vorgehen vor und während des Gipfels. Die Zielrichtung hierbei ist klar: Es geht um die Delegitimierung und Entpolitisierung der Proteste, die einzig und allein als einzudämmendes Sicherheitsrisiko behandelt wurden.
Gehen Sie davon aus, dass es zu derartig vielen Prozessen kommen wird?
Nein. Inwiefern und wie viele der Ermittlungsverfahren tatsächlich in Anklagen vor Gericht münden, ist schwer zu beurteilen. 3000 Gerichtsprozesse würden mit Sicherheit die Kapazitäten der Hamburger Gerichte deutlich übersteigen. Viele Ermittlungsverfahren werden vermutlich eingestellt werden. Es ist kaum vorstellbar, dass es gelingt, jede dieser Straftaten Personen zuzuordnen, sodass diese dann angeklagt werden können. Außerdem ist davon auszugehen, dass nicht jede vermeintliche Straftat auch zu einer Anklage vor Gericht führt. Hier wird es mit Sicherheit zu einer Menge Strafbefehlen kommen, die in der Höhe unterhalb einer Vorstrafe bleiben werden. Klar ist aber auch, dass es sehr viel mehr Anklagen geben wird als nur gegen vermeintliche Straftäter_innen, gegen die mit fadenscheinigen und teilweise juristisch nicht haltbaren Begründungen Untersuchungshaft angeordnet wurde. Auch hier stehen politische Motivationen im Vordergrund.
Stehen die Ermittlungen gegen vier Organisator_Innen im Zusammenhang mit den harten Strafen gegen G20-Protestierende?
Die Frage lässt sich so nicht beantworten. Offensichtlich ist doch, dass es nicht nur darum geht, sogenannte Flaschenwerfer zu verurteilen, sondern vor allem auch darum, den legitimen Protest gegen das G20-Treffen in Hamburg zu kriminalisieren und zu delegitimieren. Dafür wurden schon im Vorfeld Personen namentlich vom Verfassungsschutz geoutet, unter anderem auch Andreas und Emily, gegen die jetzt diese Ermittlungsverfahren laufen. Wir haben es also eher mit einer doppelten Signalwirkung zu tun: Einerseits sollen die hohen Urteile in den ersten Verfahren auch für alle künftigen Gelegenheiten abschrecken bis hin zu der Frage, ob man es überhaupt noch wagen kann, an einer Demonstration teilzunehmen. Andererseits sollen die Aktivist_innen durch Repression davon abgehalten werden, sich zu organisieren und zu artikulieren. Hier sollen Personen dafür abgestraft werden, dass sie ihre Stimme und ihr Gesicht einer breiten Mobilisierung gegen den G20-Gipfel zur Verfügung gestellt haben. Ihnen tatsächlich Straftaten nachzuweisen, dürfte schwierig werden.
Eine Richterin bezeichnete unlängst das Werfen von zwei leeren Bierflaschen auf Polizeieinheiten als Terror. Sind faire Prozesse so möglich?
Das Gerede von Terror in diesem Zusammenhang halte ich für reine Rhetorik, die angelegt ist, zu polarisieren. Das hatten wir auch schon während des Gipfels mit dem Gerede über bürgerkriegsähnliche Zustände. Hier werden Verhältnismäßigkeiten verschoben und schlicht und einfach Stimmungsmache betrieben, die mit Sicherheit auch Auswirkungen auf weitere Prozesse haben wird. Von Fairness kann hier nicht die Rede sein und darum geht es auch nicht. Ich finde es aber schon sehr bedenklich, eine solche Aussage in einem solchen Verfahren von einer Richterin zu hören. Es ist allerdings nicht das erste Mal im Zusammenhang mit den G20-Verfahren, dass wir mit kritikwürdigen Aussagen von Seiten der Justiz konfrontiert werden. Erinnert sei an die vermeintlichen Erziehungsmängel, mit denen die Weiterführung der Untersuchungshaft im Fall eines jungen Gefangenen aus Italien begründet wurde.
Wie schätzen Sie die bisherigen Urteile ein?
Es ist schwierig, pauschal etwas zu allen Urteilen zu sagen. Ich denke, »überzogen« ist ein guter Begriff in diesem Zusammenhang. Denn das erste Urteil von Richter Johann Krieten – er verhängte gegen einen nicht vorbestraften Mann zwei Jahre und sieben Monate Haft ohne Bewährung – wird als Maßstab für alle weiteren Verfahren genommen. Damit wurde es möglich, die Haftstrafen in den folgenden Prozessen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, als milde zu bezeichnen. Die kurz vor dem G20-Gipfel erfolgte Strafrechtsreform und die damit einhergehende Verschärfung der Paragrafen 113 und 114 - tätlicher Angriff - bieten nun natürlich auch die rechtliche Grundlage für diese hohen Strafen.
Welche Resonanz spüren Sie auf die Solidaritätsaktivitäten zu den G20-Prozessen?
Die vielen Solidaritätsbekundungen, Veranstaltungen, Aktionen und auch die große Spendenbereitschaft zeigen deutlich, dass eine Menge Menschen in Deutschland und Europa keineswegs damit einverstanden sind, wie mit den Gipfelprotesten und auch den einzelnen Angeklagten umgegangen wird. Es macht Mut zu sehen, wie viele Menschen sich solidarisch zeigen. Wichtig bleibt, dass wir nicht vergessen, warum wir in dieser Situation sind und die Solidarität mit den noch Inhaftierten, aber auch mit all jenen, die noch angeklagt werden, zu organisieren. Es gab 1000 oder mehr gute Gründe, im Sommer nach Hamburg zu kommen, um gegen den G20-Gipfel zu protestieren, der für eine Politik steht, mit der sehr viele Menschen nicht einverstanden sind.
Kann es angesichts von Ermittlungen allein aufgrund von Meinungsäußerungen zum G20-Protest überhaupt zu einer freien Debatte über die Einschätzung der Gipfelproteste, des zivilen Ungehorsams und auch der unterschiedlichen Formen von Militanz kommen?
Diese Frage muss mit einem deutlichen Nein beantwortet werden. Das sollte uns aber nicht davon abhalten, es trotzdem zu versuchen. Die Mobilisierung gegen den G20-Gipfel gehörte zu den größten linken Protesten der letzten Jahrzehnte. Wir dürfen uns nicht die Deutungshoheit über diesen vielfältigen Protest aus der Hand nehmen lassen. Aber natürlich ist es schwierig, offen und ohne Angst vor Repression über das zu sprechen, was wir erlebt haben.
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