Viele Thüringer fühlen sich benachteiligt
»Monitor«-Studie bringt widersprüchliche Resultate
Erfurt. Die Thüringer sind wieder zufriedener mit dem demokratischen System in Deutschland, misstrauen aber den politischen Eliten. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt eine wissenschaftliche Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Auftrag der rot-rot-grüne Landesregierung. Der Anteil derjenigen, die mit der Demokratie zufrieden sind, sei von 47 Prozent im Jahr 2015 auf 65 Prozent in diesem Jahr gestiegen.
Für den »Thüringen-Monitor«, von dem die Staatskanzlei am Wochenende Auszüge veröffentlichte, wurden zwischen Mai und Juni 1032 wahlberechtigte Thüringer befragt. Er bescheinigt Thüringen einen nicht unerheblichen Anteil von Menschen mit rechtsextremen Einstellungen, der trotz einer insgesamt hohen Lebenszufriedenheit von 16 auf 19 Prozent gestiegen sei. Viele Menschen fühlten sich als Ostdeutsche benachteiligt, gleichzeitig seien 93 Prozent aller Befragten mit ihrem Lebensstandard zufrieden. Die Forscher bescheinigen den Thüringern eine vielfach widersprüchliche Position und sprachen von »gemischten Gefühlen«.
Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) will zu den Ergebnissen der Studie laut der Staatskanzlei am 2. November im Landtag eine Regierungserklärung abgeben.
Bei der Demokratiezufriedenheit wurde nach Angaben der Autoren der höchste Wert seit Beginn der Untersuchungen 2001 gemessen. Gleichzeitig gebe es massive Kritik an einer als abgehobenen empfundenen politischen Elite: 69 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Anliegen der Menschen nicht mehr wirksam vertreten würden. Entsprechend widersprüchliche Bewertungen habe es auch in vergangenen Jahren gegeben.
Zudem ergab die Befragung, dass sich 37 Prozent der Menschen persönlich als Ostdeutsche benachteiligt fühlen, 49 Prozent generell als Ostdeutsche. 53 Prozent der Befragten gaben an, im Vergleich zu anderen weniger als den gerechten Anteil zu erhalten. Die Wissenschaftler sprachen von einem bedenklichen Befund: Empfindungen relativer Benachteiligung würden »soziale Ressentiments, Abwertung von Minderheiten und Rechtsextremismus begünstigen«.
Mit den Arbeiten für den »Thüringen-Monitor« zur politischen Kultur war 2000 begonnen worden. Er erscheint jährlich. Dieses Mal beschäftigten sich die Jena Wissenschaftler vor allem mit der sozialen und politischen Mitte in Thüringen. Sie kommen unter anderem zu dem Ergebnis, »dass nicht allein die objektive soziale Lage der Befragten Einfluss darauf hat, dass sie rechtsextrem eingestellt sind«. Teilweise bedeutsamer sei die subjektive Wahrnehmung und Bewertung der Lage.
Am Montag stelle Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) den Verfassungsschutzbericht 2016 vor. Demnach ist aus Sicht des Thüringer Verfassungsschutzes die größte Gefahr für den Freistaat der Rechtsextremismus. »Die Aggressivität der rechten Szene hat erheblich zugenommen«, sagte Maier. Innerhalb eines Jahres sei die Zahl der Gewaltstraftaten um fast 40 Prozent auf 128 gewachsen. Laut Verfassungsschutz gab es 2016 landesweit rund 850 Personen, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugerechnet wurden.
Maier sprach von einer »Zerfaserung der rechten Szene«. Während althergebrachte Strukturen wie die NPD an Bedeutung verlören, entwickelten sich neue Bewegungen. So sei 2016 die Identitäre Bewegung auch in Thüringen mehrfach in Erscheinung getreten. Ihre Mitglieder seien gebildet und ordentlich gekleidet - und deshalb so gefährlich. dpa/nd
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