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Poker ums Wiener Kanzleramt
Präsidium der Sozialdemokraten (SPÖ) beschloss am Montag mehrheitlich die Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und FPÖ
Alle Beobachter sind sich einig: ÖVP und FPÖ werden sich am Ende für eine neue Regierung zusammentun und die SPÖ auf die Oppositionsbank schicken. Auch am Tag nach dem Kurz-Triumph, der die ÖVP mit einem Plus von 7,6 Prozentpunkten auf 31,6 Prozent und damit auf Platz eins gehievt hatte, gibt es wenig Zweifel an Schwarz-Blau.
Allerdings beschloss das SPÖ-Präsidium am Montag mehrheitlich die Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen nicht nur mit der ÖVP, sondern auch mit der FPÖ. Mehrheitlich - denn es gibt massiven Widerstand gegen diese Offenheit, die einem gültigen Parteitagsbeschluss widerspricht. »Die SPÖ spricht sich klar gegen eine Koalition mit der FPÖ auf allen politischen Ebenen aus«, hatte ein Parteitag im November 2014 einstimmig beschlossen. Dennoch hatten die burgenländischen Sozialdemokraten danach eine Koalition mit den Rechtspopulisten gebildet.
Und auch jetzt scheint der Parteitagsbeschluss manchen Genossen egal zu sein. Offen dazu bekennt sich nur Wiens Bürgermeister Michael Häupl. »Wenn wir uns selbst nicht ernst nehmen, wer soll uns dann ernst nehmen?«, fragt Häupl jene Genossen, die das alles etwas lockerer sehen. Am Ende der Diskussionen in den SPÖ-Gremien war zwar auch Häupl für Gespräche mit allen, aber er bleibt bei seinem kategorischen Nein zu einer Koalition mit der FPÖ. Auch wenn die Spekulationen unrealistisch sind, weil die SPÖ den Verbleib an der Macht mit ihrer Spaltung bezahlen würde, könnten sie sehr wohl Einfluss auf die Regierungsbildung haben - indem sie die Verhandlungsposition der FPÖ durch ihr Gesprächsangebot verbessert.
Im anstehenden Poker befinden sich die ebenfalls gestärkten, aber mit 26 Prozent knapp hinter den Sozialdemokraten auf Platz drei verbliebenen »Freiheitlichen« in einer komfortablen Lage. Weil für Kurz eine Neuauflage der Großen Koalition, als deren Zerstörer er sich inszeniert hatte, quasi ausgeschlossen ist, hat er nur die FPÖ als Option. Ungeachtet vieler inhaltlicher Überscheidungen in den Wahlprogrammen gibt es eine Reihe von Knackpunkten. FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache verlangt eine Volksabstimmung über das Freihandelsabkommen CETA, welches in Teilen seit Mitte September vorläufig angewendet wird. Kurz ist dagegen und für die endgültige Ratifizierung. Eine heikle Frage ist auch die von der FPÖ verlangte Abschaffung des sogenannten Kammerzwangs. Unternehmer, aber auch Arbeitnehmer sind per Gesetz zur bezahlten Mitgliedschaft in ihren jeweiligen Kammern verpflichtet. Das will die FPÖ - anders als die ÖVP - abschaffen.
Kurz steht unter Zeitdruck und wird bald erste Erfolge vorweisen müssen: Anfang 2018 werden bei Landtagswahlen mehr als ein Drittel aller österreichischen Wahlberechtigten Gelegenheit haben, ein erstes Urteil über einen Kanzler Kurz zu sprechen. Und der 31-Jährige hat im Wahlkampf viel versprochen.
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