Trennlinie zwischen links und rechts

Solidarität ist eine Haltung, an der sich die Lager unterscheiden, meint Steffen Twardowski . Sie ist extrem Rechten fremd.

  • Steffen Twardowski
  • Lesedauer: 3 Min.

In den Wochen seit der Bundestagswahl haben die Parteien das Ergebnis analysiert. Gewählte Abgeordnete trafen sich, um die Arbeit in ihren Fraktionen vorzubereiten. Union, FDP und Grüne testeten inhaltliche Schmerzgrenzen einer Jamaika-Koalition. Man wollte außerdem bei der Landtagswahl in Niedersachsen möglichst gut abzuschneiden. Doch was erwarten die Wählerinnen und Wähler von Regierung und Parteien?

Eine repräsentative Emnid-Umfrage aus der Woche nach der Abstimmung verrät, wo die Bevölkerung akuten Handlungsbedarf sieht. Die Interviewten konnten alles offen aussprechen, was ihnen auf den Nägeln brennt. 24 Prozent nannten die Flüchtlingspolitik, 13 Prozent den Komplex Rentenpolitik/Altersvorsorge und weitere 13 Prozent die Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Die soziale Ungerechtigkeit sprachen neun Prozent an, sechs Prozent die Bildungspolitik.

Steffen Twardowski

Steffen Twardowski analysiert in der Linksfraktion im Bundestag die Politikwahrnehmung der Bevölkerung.

Diese Auswahl überrascht nicht, denn diese Themen bestimmten über Monate hinweg die Berichterstattung in den Medien und Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Dass die Wählerinnen und Wähler der AfD die Flüchtlingspolitik sowie die Zuwanderungs- und Integrationspolitik fast doppelt so oft nannten, war zu erwarten. Dafür interessierten sie sich kaum für soziale Ungerechtigkeit oder Bildung. Die Wählerinnen und Wähler der CDU/CSU antworteten ähnlich.

Sehr deutlich gegen den allgemeinen Trend antworteten die Wählerinnen und Wähler der LINKEN. Von ihnen sahen 24 Prozent den größten Handlungsbedarf bei der sozialen Ungerechtigkeit, 18 Prozent bei der Rentenpolitik/Altersvorsorge. Ebenfalls 18 Prozent sprachen die Gesundheitspolitik an, zwölf Prozent den Wunsch, Frieden zu schaffen und zu bewahren. Dagegen wurden die Themen Flüchtlingspolitik oder die Zuwanderungs- und Integrationspolitik von jeweils etwa nur vier Prozent genannt.

Dieses Ergebnis überrascht nur auf den ersten Blick. Denn es spiegelt nahezu exakt die thematische Positionierung der LINKEN-Wahlkampagne wider. Außerdem sind diese Themen auch dann Schwerpunkte, wenn linke Politikerinnen und Politiker in Regierungsverantwortung handeln. Ganz praktisch zeigt sich das beispielsweise, wenn die Flüchtlingspolitik mit der Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit zusammengeführt wird: Den Menschen, die in Not sind, muss geholfen werden - egal, woher sie kommen. Solidarität ist eine Haltung, die zwischen ganz links und ganz rechts trennt. Solidarisches Handeln ist extrem Rechten fremd. Dieses Ergebnis macht klar: Wer jetzt die Linkspartei wählen würde, setzt auf das Thema soziale Gerechtigkeit in allen Facetten.

Im Grunde liegt damit ein erster Fahrplan für die LINKE auf dem Tisch. Was den Wählerinnen und Wählern von ihr als wichtigstes Thema im Wahlkampf vorgestellt wurde, fordern sie jetzt ein. Manche Diskussionen innerhalb und außerhalb der Partei seit der Wahl sind deshalb für mich kaum nachvollziehbar. Die LINKE führte im Wahlkampf einen intensiven Dialog mit der Bevölkerung über ihr Angebot einer besseren Politik und erreichte so ihr zweitbestes Ergebnis.

Aussagen wie »Ich wünsche mir eine Personaldebatte« oder »Man sollte in aller Öffentlichkeit mögliche Fehler diskutieren« habe ich in dieser und auch in früheren Studien nicht gelesen. Und für die These, bisherige Nichtwählerinnen und Nichtwähler hätten für die Partei gestimmt, weil bestimmte Ressentiments bei ihnen angesprochen wurden, fehlt jeder handfeste Beleg.

Eine klare Positionierung der LINKEN ist nicht nur angesichts der veränderten Kräfteverhältnisse im Bundestag weiter wichtig. Wenn sie sich als linke soziale Oppositionskraft gegenüber der SPD behaupten will, bleibt ihr nicht viel Zeit, um ihre Position zu finden. Dazu kommt, dass mit dem Ergebnis dieser Bundestagswahl insgesamt nur 34 Prozent zufrieden sind. Nach den Wahlen 2009 und 2013 war es immerhin noch die Hälfte. Welche politische Kraft wird am ehesten in der Lage sein, ein glaubwürdiges Konzept für Veränderungen in Richtung mehr sozialer Gerechtigkeit zu entwickeln?

Diejenigen, die mit dem Ergebnis der Wahl unzufrieden sind, nennen überdurchschnittlich die Themen soziale Ungerechtigkeit und den Komplex Rentenpolitik/Altersvorsorge. Nach den Erfahrungen der vergangenen Monate liegt der Schluss nahe: Die LINKE setzt sich durch, wenn die sozialen Fragen glaubwürdig der Kern ihres inhaltlichen Angebotes bleiben.

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