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Chauvinismus oder Kompliment? Julia Schramm über den »Fall Chebli«
»Was dürfen Männer eigentlich noch?«, tönt es gerade wieder durch die Republik. Männer sind verunsichert, denn zunehmend geben Frauen öffentlich zu erkennen, dass ihnen die Art und Weise, wie Männer in den vergangenen Jahrhunderten Komplimente und Annäherungsversuche gestartet haben, eigentlich, nun ja, gar nicht so gefällt. Klar, dass keine Frau belästigt werden will. Klar, dass keine Frau gegen ihren Willen zu irgendwas gezwungen werden soll. Aber wo fängt das an? Sind Komplimente nicht etwas Schönes? Wo hört das Kompliment auf, wo fängt Belästigung an?
Seit Wochen ist mittlerweile die Diskussion über sexualisierte Gewalt und Belästigung wieder in vollem Gange. Angezettelt durch eine Debatte in den USA: Der US-Medienmogul Harvey Weinstein wurde nach Jahrzehnten des sexuellen Missbrauchs und widerlichen, tyrannischen Verhaltens endlich zur Rechenschaft gezogen - zumindest beruflich, privat und öffentlich. Strafrechtlich werden derzeit noch die Möglichkeiten ausgelotet. Und es wirkt, als wäre ein Damm gebrochen. Jeden Tag werden mehr und mehr Geschichten öffentlich, über Belästigung, sexualisierte Gewalt und all die kleinen, nervigen, sexuell aufgeladenen Auseinandersetzungen, die Frauen und auch Männern das Leben schwer machen.
Im Zuge dieser Debatte hat die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) beschrieben, wie selbst nett gemeinte Komplimente eine Form der Demütigung darstellen können. Konkret: Chebli war als Vertreterin des Regierenden Bürgermeisters von Berlin auf eine Konferenz geladen. Der Moderator war offenbar von der schönen Frau überrascht und ließ das Publikum das umgehend wissen: »Und dann sind Sie auch noch schön«, moderierte er Chebli an. Nett, oder? Chebli fand das nicht sonderlich nett und löste mit ihrer Meinung einen Shitstorm aus.
Wie kann sie nur? Wieso findet sie es jetzt nicht gut, schön genannt zu werden? Dass viele Männer sie nun rassistisch und sexistisch beschimpfen, ist keine Überraschung – das bestätigt im Kern ihre Kritik. Was ist denn jetzt mit Komplimenten? Und wieso finden Frauen sie oft nicht toll oder nett und rollen eher genervt mit dem Augen, wenn ihnen mal wieder attestiert wird, dass ihre Haut weich sei oder ihre Haare gut riechen? Das sind doch alles schöne Sachen! Oder nicht?
Nun ist das mit den Komplimenten aber so eine Sache, gerade im beruflichen Kontext. Betrachten wir den Fall von Chebli genau und was das Kompliment eigentlich sagt: Die Überraschung des Moderators, dass eine schöne Frau etwas Substanzielles zu einer politischen Debatte beiträgt, ja in einer politisch verantwortungsvollen Position ist, zeigt zwei Dinge: zum einen, dass der Moderator politische Kompetenz nicht mit einer schönen Frau assoziiert, sonst wäre er ja nicht überrascht. Zum anderen zeigt es, dass es egal ist, wie einflussreich eine Frau ist, ihr Aussehen ist trotzdem das erste, was kommentiert wird. Und genau das ist der Punkt, an dem viele Frauen einfach nur noch genervt sind.
Manchmal fühlt es sich an, als könnten wir tun, was wir wollen, erfinden und leisten, was wir wollen, wir können so schlau sein, wie wir wollen – am Ende geht es gefühlt doch nur wieder um unsere Haare, Haut und ob unser Po hübsch ist. Viele Männer können sich nicht vorstellen, dass das nervig ist. Ist es aber. Es ist anstrengend, sich immer wieder behaupten zu müssen, sich Respekt zu verschaffen. Es ist anstrengend, in einem beruflichen Meeting erstmal zehn Minuten drauf zu verschwenden, dass der Mann gegenüber einem überhaupt in die Augen schaut und nicht auf die Brüste. Ja, das passiert. Regelmäßig. Allen Frauen. In allen Positionen. Überall.
Es ist nicht schmeichelhaft, in einem beruflichen Meeting nicht gehört zu werden, weil die anwesenden Männer damit beschäftigt sind, in ihrem Kopf einen Softporno mit der Kollegin zu drehen. Es ist ganz einfach: Wir Frauen wollen unseren Job machen, wir wollen etwas verändern, die Welt besser oder schlechter machen (ja, auch das gibt es). Wir wollen ernst genommen werden. Und wir wollen, dass Männer uns einfach mal zuhören. Egal, wie schön unsere Haare im Wind wehen.
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