Unregulierter Einsatz von Pestiziden

Forscher fordern Langzeitüberwachung von Schäden in der Umwelt

  • Bernd Schröder
  • Lesedauer: 3 Min.

Der großflächige Einsatz von Pestiziden ist unproblematisch - diese unter Behörden weltweit verbreitete Annahme ist laut dem Chefberater des britischen Umweltministeriums, Ian Boyd, nicht haltbar. Der Biologie-Professor an der University of St Andrews fordert zusammen mit Alice Milner, Physiogeographin vom University College London, in einer im Wissenschaftsjournal »Science« veröffentlichten aktuellen Studie eine angemessene Balance zwischen Umweltschutz und der Notwendigkeit, ausreichend viele Lebensmittel für eine stetig wachsende Weltbevölkerung sicher und preiswert zu produzieren.

Dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wird in der modernen industriellen Landwirtschaft zentrale Bedeutung beigemessen. Allein in der EU sind rund 500 Pestizid-Wirkstoffe zugelassen. Boyd und Milner bemängeln in ihrer Untersuchung, dass die Regeln zur Überwachung möglicher negativer Effekte erheblich lückenhafter sind als etwa bei Arzneimitteln. Der Pestizidregulierung liegt nämlich die Annahme zugrunde, dass diese Chemikalien nach unbeanstandet durchlaufenen Labor- und Feldtests generell umweltfreundlich sind, auch wenn sie in industriellem Maßstab eingesetzt werden. Die beiden Autoren der Studie halten dies für schlichtweg falsch. Sie schlagen eine Langzeitüberwachung von Pestiziden ähnlich wie bei Arzneimitteln auch nach der Markteinführung vor. Nur ein solches Monitoring könnte unerwartete Nebenwirkungen aufspüren, die erst bei einer massenhaften Anwendung auftreten.

Von der Entwicklung eines Wirkstoffs bis zum Markteintritt sind die Regularien noch ähnlich - es gibt Tests zu Wirksamkeit, Toxikologie, Verbleib und Verhalten in der Umwelt. Bei Pestiziden gibt es nach der Zulassung, die in der EU je nach Lizenz 10 bis 15 Jahre gilt, aber kaum noch Überwachungsmechanismen, abgesehen von der Kontrolle von Rückständen in Nahrungsmitteln. Hingegen wird die Belastung der Umwelt nicht gemessen. Grenzwerte für den Pflanzenschutzmitteleinsatz fehlen besonders in Gegenden, wo ganze Landstriche betroffen sind. Die praktische Abwesenheit der Überwachung führt dazu, dass es Jahre dauern kann, bis mögliche Schadwirkungen eines Stoffs bemerkt werden.

Standardtests zur Umwelttoxizität von Pestiziden werden bisher nur an einzelnen Organismenarten durchgeführt. Daher ist die Aussagekraft zu Folgen eines flächendeckenden Einsatzes begrenzt. Dies gilt auch für Effekte wegen der Verwobenheit der Prozesse in Ökosystemen. Kritische Experten haben kein Vertrauen in aktuelle Testverfahren, wenn es um die Abschätzung der gesamten Palette möglicher toxischer Effekte geht: Die Pestizidanwendung im Großmaßstab wird ebenso wenig untersucht wie die Wirkung von Mehrfachbelastungen durch Pestizid-Cocktails oder das Zusammenspiel mit anderen umweltrelevanten Chemikalien.

Ohne das Wissen um sichere Höchstwerte wird die Menge der eingesetzten Pestizide von den Gegebenheiten des Marktes bestimmt und nicht davon, was die Umwelt verkraften kann. Dafür nennen die Autoren ein Beispiel: In Großbritannien wurden zuletzt rund viermal mehr Neonicotinoide eingesetzt als vor 15 Jahren. Diese Produktklasse mit dem Wirkstoff Imidacloprid, der heute als das am meisten verkaufte Insektizid weltweit gilt, wird ursächlich mit dem beobachteten massiven Insektenrückgang in Zusammenhang gebracht.

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