China plant bis ins Jahr 2049
Präsident Xi Jinping will Europa und die USA langfristig in zwei Phasen überholen
»Die Qualität und die Effizienz des Wachstums haben sich in bemerkenswertem Maße erhöht«, kommentierte das chinesische Statistikamt vergangene Woche die jüngsten Wirtschaftszahlen. Mit 6,9 Prozent war das Bruttoinlandsprodukt in den ersten neun Monaten des Jahres wieder kräftig gewachsen. Die Kader der Kommunistischen Partei, die auf dem großen Parteitag zusammensaßen, dürften sich über die Zahl gefreut haben.
Die vergleichsweise gute wirtschaftliche Lage gibt der Partei Luft, um ihr Reformprogramm umzusetzen. Präsident Xi Jinping hat auf dem Parteikongress die Eckpunkte für eine Reihe von Zukunftsplänen dargestellt. Sie beinhalten eine Mischung aus staatlicher Lenkung auf der einen Seite bei deutlichen Deregulierungen auf der anderen Seite, um China zu einem führenden Hochtechnikland zu machen. Xi versprach zudem »aktiv den Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung mitzugestalten und voranzutreiben, um die nach außen geöffnete Wirtschaft auf ein höheres Niveau zu bringen«.
Der chinesische Präsident hat zudem eine Vision für Chinas Entwicklung bis zum Jahr 2049 umrissen. »Die langfristige Natur dieses Plans ist bemerkenswert«, sagt Julia Wang, Ökonomin bei der Großbank HSBC in Hongkong. Bisher habe sich kein Parteiführer auf einen so weitreichenden Ausblick festgelegt.
Xis Ansatz ist zweistufig aufgebaut: Bis 2035 soll China zu einem Innovationsführer in allen wichtigen Technikbranchen aufsteigen. Wichtige Themen, die dabei angepackt werden sollen, sind Rechtssicherheit, Umweltschutz, und die Bedürfnisse der wachsenden Mittelklasse. Im nächsten Fünfzehnjahreszeitraum von 2035 bis 2049 soll China dann »modern, stark und wohlhabend« werden - sprich: auf dem heutigen Niveau von USA und EU, nur besser.
Für die deutsche Wirtschaft sind das gemischte Nachrichten. Chinas unverminderte Vitalität ist auf jeden Fall positiv. Das Land hat weiterhin einen ehrgeizigen Entwicklungsplan und die Mittel, ihn auch zu verwirklichen. Gerade die Punkte, die Xi anspricht, lassen auf weiterhin gute Zusammenarbeit hoffen. Umweltschutz, ein hoher Lebensstandard der Mittelklasse, die Entwicklung der Gesundheitsversorgung, Mobilität, Robotik - hier hat Deutschland viel zu bieten. Hiesige Unternehmen können sich also insofern auf gute Geschäfte freuen.
Doch es drohen auch Gefahren. Eine Auswertung des Mercator Institute for Chinese Studies (Merics) in Berlin zeigt, dass Südkorea und Deutschland am meisten von steigender Konkurrenz aus China in Technikbranchen wie Robotern, Maschinen und Autos betroffen sein werden. Vertreter der deutschen Wirtschaft weisen gleichwohl darauf hin, dass die Weiterentwicklung Chinas sich ohnehin nicht aufhalten lässt. Deutschland positioniere sich am geschicktesten als Partner an der Seite des Aufsteigers.
Größere Sorge bereitet, dass China in seinen Langfristplänen auch einen steigenden Anteil an Wertschöpfung im Inland vorsieht. Der Marktanteil für internationale Anbieter dürfte dementsprechend schrumpfen. Ökonomen und Manager warnen daher, dass Xis Versprechen einer Marktöffnung ein Lippenbekenntnis bleiben könnte. Statt dessen droht mehr Protektionismus.
Die Kommunisten haben bereits auf ihrem vorigen Parteitag 2012 eine weiter Marktöffnung in Aussicht gestellt. Die Bilanz fällt jedoch bestenfalls durchwachsen aus, warnt die EU-Handelskammer in Peking. China behandele die ausländischen Unternehmen weiterhin unfair, so das Fazit.
Doch damit kann Xi leben. Sein Fokus liegt letztlich auf der Innenpolitik: Er hat 1,4 Milliarden Bürger bei Laune zu halten. Als größte Herausforderung nannte Xi auf dem Parteitag den Unterschied zwischen der heutigen Realität und den gewachsenen Ansprüchen der Chinesen an ein »schönes Leben«. China soll dafür ein sauberes und aufgeräumtes Land mit einem funktionierenden Sozialsystem werden.
Xis Ziel ist ein »dynamisches Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage«. Die künftigen Wachstumsbringer sollen die Informationstechnik, Dienstleistungen und innovative Branchen sein. Der Fokus bleibt jedoch auf der Realwirtschaft und der Herstellung konkreter Waren.
Die chinesische Regierung wird parallel auch weiterhin teure, schuldfinanzierte Projekte durchziehen, um die Infrastruktur auf dem Lande zu entwickeln. Das schafft Jobs für einfache Arbeiter, die weiterhin dringend gebraucht werden. Die Stabilität des Arbeitsmarkts hat Vorrang vor allen anderen Überlegungen - die Sorge um die Effizienz oder neoliberale Theorien müssen hier zurücktreten. Das Gesamtziel sei ein »ökologisch ausgewogenes und lebenswertes Umfeld«, so Xi.
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