»Unverhältnismäßige Gewalt« in Calais

»Dschungel von Calais« wurde geräumt / Statt regulärem Asyl allerdings meist nur prekäres Bleiberecht

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf den Tag ein Jahr nach der gewaltsamen Räumung des »Dschungels« von Calais gibt es kaum mehr Hoffnung für Flüchtlinge, in Frankreich eine neue Heimat zu finden. Von den rund 8000 Menschen, die seinerzeit in Calais in Busse verfrachtet und auf viele kleine »Aufnahme- und Orientierungszentren« im ganzen Land verteilt wurden, haben bis heute 42 Prozent Papiere bekommen, wird offiziell betont. Dabei wird aber unterschlagen, dass es sich nur bei einem Bruchteil um anerkanntes Asyl handelt und den meisten nur ein prekäres Bleiberecht zugebilligt wurde.

An keinem Ort wurden mehr als 50 Personen untergebracht, weil man ablehnende Reaktionen der Bevölkerung befürchtete. Wegen des Widerstands vieler Bürgermeister konnte das Innenministerium meist nur auf staatseigene Gebäude zurückgreifen.

Laurent Wauquiez, der Präsident von Frankreichs zweitreichster Region Auvergne-Rhône-Alpes hat es seinerzeit als Irrsinn bezeichnet, in seiner Region 2800 dieser Calais-Flüchtlinge unterzubringen, obwohl für alle Kosten die Regierung in Paris aufkommt. Allerdings gibt es auch Kommunen, wo Bürgermeister und Einwohner Unterstützung leisten und Vorurteile ausgeräumt wurden.

Wo schön und beschissen so eng beieinander lagen
Ein Jahr nach der Räumung des wilden Flüchtlingslagers leben Geflüchtete unter noch widrigeren Umständen. Ein Erfahrungsbericht

So gibt es kaum Meldungen über Flüchtlinge, die kriminell wurden. Es hat sich bewährt, keine massiven Ansammlungen zuzulassen. Schwieriger ist die Lage in Calais, wo man nach wie vor durch massive Polizeipräsenz alles versucht, um eine neuerliche Ansammlung von Flüchtlingen, die an Bord von Lkw nach Großbritannien gelangen wollen, zu verhindern.

Trotzdem gibt es dort heute wieder 700 bis 800 Menschen, vor allem junge Männer aus Sudan, Eritrea, Pakistan und Afghanistan. Sie kampieren unter Büschen und können nicht einmal Zelte aufschlagen, weil sie ständig von der Polizei vertrieben werden. Dieser Tage hat die Sonderuntersuchungsbehörde des Innenministeriums in einem durch Klagen von Hilfsorganisationen ausgelösten Bericht eingeräumt, dass Polizisten schlafende Flüchtlinge mit Tränengas geweckt und vertrieben haben, obwohl solche Mittel ausdrücklich nur bei Notwehr erlaubt sind.

Während des Wahlkampfes hat sich Präsident Emmanuel Macron immer wieder auf die vielen seiner Landsleute berufen, die Ausländern gegenüber tolerant und aufgeschlossen sind und die Frankreichs Ruf als historischer Hort von Asyl und Menschenrechten Ehre machen. Seit Macron im Elysée amtiert, hört man davon nichts mehr

Innenminister Gérard Colomb - ein enger Freund des Präsidenten - schlägt im Gegenteil zum Thema Einwanderung scharfe Töne an. Künftig soll das Parlament beschließen, wie viele Ausländer - vorzugsweise hochqualifizierte Fachleute - pro Jahr aufgenommen werden. Vor allem soll endlich die Abschiebung illegaler Einwanderer und abgelehnter Asylanten konsequent praktiziert werden. In erster Linie betrifft das Illegale, die kriminell wurden, erklärte vor kurzem Macron selbst, als sich herausstellte, dass der Attentäter vom Marseiller Bahnhof, der dort zwei Frauen erstochen hat, schon sechsmal wegen Diebstahls verhaftet und jedes Mal wieder auf freien Fuß gesetzt worden war. Auf dem Gelände des Flughafens Paris-Roissy wird in diesen Tagen ein als »Außenstelle des Verwaltungsgerichts Bobigny« bezeichneter Gerichtssaal getestet, wo Menschen, die ohne Genehmigung angereist sind, gleich wieder zur Abschiebung verurteilt werden sollen, ohne dass sie erst ihren Fuß auf französischen Boden setzten können.

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