Alle drei Tage ein neuer Beruf - zwei junge Leute auf der Suche
Mit einer ungewöhnlichen Aktion will die Deutsche Handwerkskammer die Vielfalt der Gewerke vorstellen und Nachwuchs begeistern
Charlotte Stanke (20) und Marvin Möller (19) fahren fünf Monate durch Deutschland, immer auf der Suche nach dem Handwerk, das am besten zu ihnen passt. Gerade waren sie in Leipzig beim Zweiradmechatroniker Zweirad-Woj, danach beim Raumausstatter in Trebsen bei Leipzig. Gedacht ist der Roadtrip als Werbung für das deutsche Handwerk, die Tour kann im Internet verfolgt werden.
Marvin erzählt: »Ich hatte nach dem Abitur keine Idee, was ich beruflich machen möchte. Mit dieser Aktion kann ich das herauszufinden.« Er und Charlotte haben sich im Rahmen eines Street Castings für die Aktion beworben. Start war am 1. August in einem Hamburger Dachdeckerbetrieb, geplant sind bis Dezember Zwei-Tage-Praktika in 42 Städten. Die Beiden erleben alle drei Tage einen anderen Beruf an einem anderen Ort. Ihr Ziel: Das Handwerk erleben und die Vielfalt der Gewerke mit ihren Altersgenossen teilen. Die Kampagne soll junge Unentschlossene ansprechen. An den Wochenenden sind Charlotte und Marvin zu Hause in Flensburg beziehungsweise Hamburg.
Im Moment haben sie 26 Kurzpraktika in unterschiedlichen Handwerksberufen absolviert, unter anderem beim Bootsbauer, Zahntechniker und Bestatter. Rund 20 Betriebe warten noch auf die beiden. Unterwegs sind sie im eigens für die Aktion gestalteten Praktikanten-Mobil. Sie haben schon überall übernachtet, in Hotels und Jugendherbergen, mit Airbnb und sogar beim Chef eines Betriebs. Via Social Media geben sie Einblicke in die Welt des Handwerks. Gepostet wird auf allen Kanälen: YouTube, Facebook und Instagram.
Mittlerweile haben die beiden auf Facebook mehr als 4000 und auf Instagram rund 1700 Follower. »Wir haben nicht damit gerechnet, dass uns so viele Menschen folgen«, sagt Charlotte, auch Charlie genannt. »Oft stellen uns Jugendliche Fragen zu den Gewerken - ein Zeichen, dass unsere Erfahrungen für sie bei der Berufsorientierung wichtig sind. Das freut uns natürlich.« Wo hat es ihnen besonders gefallen? Abiturientin Charlotte, die ein Austauschjahr in Amerika hinter sich hat, liegen vor allem die filigranen Berufe: »Beim Fotografen, Uhrmacher und Sattler hat es mir bisher am besten gefallen.« Sie gesteht auch, dass ihr die körperlich anspruchsvollen Arbeiten im Bau- und Ausbaugewerbe schwerer fallen: »Mein Respekt vor Frauen, die Berufen wie Malerin und Dachdeckerin nachgehen, ist auf jeden Fall gewachsen.« Beim Dachklempner in Sachsen-Anhalt war Arbeitsbeginn vor sechs Uhr: »Man sieht die Sterne am Himmel, gefühlte minus zehn Grad.« Und denkt: »Hoffentlich können wir was drinnen machen.« Gerade waren sie beim Raumausstatter in Trebsen bei Leipzig, Marvin in der Polsterei, sie in der Näherei. Charlotte: »Ich habe mir ein paar Näh-Skills angeeignet.« Marvin hat Stühle auseinandergebaut und neu gepolstert. Beide fanden den Beruf sehr vielseitig.
Miriam Melanie Köhler vom Zentralverband des Deutschen Handwerks: »Jugendliche können sich in Praktika beruflich ausprobieren, Erfahrungen sammeln und herausfinden, ob der Beruf zu ihnen passt. Auch für Betriebe ein großer Vorteil. Denn der Praktikant von heute ist nicht selten der Auszubildende von morgen.«
Charlotte und Marvin sagen, dass sie durch die Aktion schon jetzt viel über sich und ihre beruflichen Interessen erfahren haben. »Das Handwerk ist vielseitiger als ich es mir vorgestellt habe - von vielen Berufen bin ich positiv überrascht, so etwa vom Kamin- und Ofenbauer«, schwärmt Marvin, der selbst aus einem Handwerker-Haushalt kommt. »Der Beruf ist modern und traditionell zugleich. Er vereint Technik mit handwerklichem Geschick. Die Kombination macht mir wirklich Spaß.«
Zurzeit führt der Trip die beiden durch den Osten Deutschlands, Stationen waren gerade ein Fleischer in Dürrröhrsdorf-Dittersbach und ein Maurerbetrieb in Sömmerda Auch ging es in den Süden Deutschlands, zu einem Büchsenmacher in Thüringen und einem Bäcker/Konditor in Hessen. Welche Berufe und Betriebe Charlotte und Marvin noch erwarten, ist eine Überraschung. Alle Stationen auf dem Roadtrip erfahren die beiden Abiturienten erst kurz vorher.
Die Erlebnisse von Charlotte und Marvin sind im Internet unter: https://handwerk.de/rekordpraktikanten zu finden
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