Linksruck in Island möglich

Schon wieder ein Urnengang nach Skandal um einen Sexualstraftäter

  • Bengt Arvidsson, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.

Island kommt politisch weiter nicht zur Ruhe. Zwar wächst dank dem boomenden Tourismus und der florierenden Fisch- und Aluminiumindustrien die Wirtschaft der Nordatlantikinsel seit Jahren wieder rasant. Dabei war sie auf der 330 000 Einwohner zählenden Insel durch die Finanzkrise von 2008 zusammengebrochen. Im Vorjahr lag das Wirtschaftswachstum dann wieder bei 7,2 Prozent, die Arbeitslosigkeit lediglich bei 2,5 Prozent.

Aber nun müssen die Isländer am Sonnabend schon zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten einneues Parlament wählen. Die erst über zwei Monate nach den letzten Wahlen im Oktober 2016 mühsam gebildete Regierung aus Konservativen und zwei rechtsliberalen Parteien stolperte im September über ein Empfehlungsschreiben des Vaters von Ministerpräsident Sveinsson für einen pädophilen Vergewaltiger.

Verurteilten Straftätern ist es laut einem isländischen Gesetz möglich, ihre »Ehre wiederherzustellen«, indem ihr Vorstrafenregister nach dem Absitzen der Strafe gänzlich gelöscht wird, wenn Empfehlungsschreiben über den Charakter des Betroffenen vorliegen. Ein Anwalt war 2004 zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er seine Stieftochter vergewaltigt hatte. Die Strafe saß er ab.

Aber das Recht, wieder als Anwalt zu arbeiten, hatte er verwirkt. Doch es gelang ihm, ein Empfehlungsschreiben zur Ehrenwiederherstellung von Benedikt Sveinsson zu erhalten, dem Vater des Regierungschefs. Justizministerin Sigridur Andersen, Parteikollegin des Premiers, hielt das zunächst geheim. Ein Koalitionspartner nahm es als Grund, die Regierung zu verlassen. Der Fall ist besonders sensibel, weil die Justizministerin eigentlich vorhatte, das umstrittene Gesetz zur Wiederherstellung der Ehre ganz abzuschaffen.

Der Skandal wurde von der Opposition als besonders hässliches Beispiel für die Vetternwirtschaft der konservativen Elite Islands bezeichnet. »In dieser Nische älterer Herren gelten Sexualverbrechen als unerheblich«, klagte der Vater eines anderen Opfers der »Ehrenwiederherstellung«. Die Linksgrünen gingen entsprechend mit Slogans zur Abwahl der etablierten »Mafia« aus männlichen Vetternwirtschaftlern in die Wahl. Sollten sie gewinnen, könnten sie eine Regierung mit der stimmenstarken Piratenpartei und den kleinen Sozialdemokraten bilden. Nur einmal seit 1944 gelang es Linksparteien, eine eigene Regierung aufzustellen - direkt nach der Krise 2009.

Derzeit zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem aus einer Politiker- und Großunternehmerfamilie stammenden Ministerpräsidenten Bjarni Benediktsson (47) von der konservativen Unabhängigkeitspartei und der aus einer Künstler- und Schriftstellerfamilie stammenden Linksgrünen Katrin Jakobsdottir (41) ab. In den letzten nicht immer zuverlässigen isländischen Umfragen erhielten beide zwischen 20 und 25 Prozent.

Bislang hat die traditionell staatstragende Unabhängigkeitspartei aber noch so ziemlich jeden Skandal gut überlebt. Seit der Unabhängigkeit Islands von Dänemark 1944 waren die Konservativen an 19 von 27 Regierungen beteiligt. Nach dem Zusammenbruch 2008, für den die Konservativen und der eng mit ihnen verwobene Finanzsektor verantwortlich waren, gelang es ihnen durch eine Erneuerung der Parteispitze und dank einer schwachen Linksregierung die Wählergunst zurückzugewinnen.

Auch neue Skandale überlebte sie. 2016 hatten die »Panamapapiere« die von 2013 bis 2017 amtierende bürgerliche Vorgängerregierung gestürzt. Sie enthüllten, dass neben dem damaligen Premier auch der damalige Finanzminister und gegenwärtige Premier Benediktsson Briefkastenfirmen unterhielt. Doch die Konservativen haben sich erfolgreich als Garant für den wirtschaftlichen Aufstieg Islands positioniert und stellten Linksgrüne wie Piraten im Wahlkampf als politisch unreif dar.

Die isländischen Linksgrünen wollen Ungleichheit und Umweltverschmutzung stärker bekämpfen, die Wohlhabenden stärker besteuern und Bankengewinne teilweise für Ausgaben im staatlichen Sektor nutzen. Staatliche Ausgaben sollen für eine Verbesserung des Gesundheits- und Schulwesens erhöht werden. Zudem sollen die Fischereirechte gerechter verteilt und die NATO-Mitgliedschaft Islands kritisch überprüft werden.

Die konservative Unabhängigkeitspartei dagegen warnt, dass die nachfrageorientierte Politik der Linksgrünen den Aufschwung durch steigende Schulden und Zinsen und eine Überhitzung der Binnenwirtschaft ersticken könnte. Sie wollen stattdessen Steuern für Privathaushalte und Unternehmen als auch die Staatsschulden durch weniger Ausgaben weiter senken. In einem Punkt allerdings sind sich beide Parteien einig - im Nein zu einer EU-Mitgliedschaft.

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