- Berlin
- Arbeitskampf im SO36
Linker Anspruch und Wirklichkeit
Im berühmten Musikclub SO36 gibt es Zoff zwischen Beschäftigten und Geschäftsleitung
Acht Stunden pro Monat mit 72 Euro Entlohnung. Darum ging es am Mittwoch bei einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Berlin. Vom finanziellen Streitwert her eine banale Angelegenheit, politisch aber dennoch brisant: Angeklagt war nicht irgendein Unternehmen, sondern der weit über Berlin hinaus bekannte Club SO36. Ganz konkret ging es um eine Klage eines Beschäftigten des Clubs, der seit dem 12. Mai dieses Jahres bei Lohnfortzahlung freigestellt ist und auf tatsächliche Beschäftigung klagt.
Ergebnis des Termins war, dass sich die Anwälte der beiden Parteien untereinander auf eine Abfindung verständigen sollen. »Wenn die Gegenseite jetzt auf einmal, nachdem sie das ein Jahr lang nicht geschafft haben, ein Angebot machen möchte, dann bin ich natürlich so respektvoll und schaue mir das an«, erklärte der Kläger dem »nd«. Er betont: »Mir geht es tatsächlich um Beschäftigung.« Dass der Kläger nicht seinen Namen in der Zeitung sehen möchte, hängt auch mit dem Verlauf des Arbeitskonfliktes zusammen. Denn dabei geht es um viel mehr: Das SO36 ist ein Club, den auch viele linke bis linksradikale Gruppen nutzen: Sogenannte Solipartys haben dort genauso einen Platz im Programm wie Veranstaltungen der postautonomen Linken. Auch wenn das SO36 den Ruf hat, ein Kollektivbetrieb zu sein, beschreibt es sich selber als »Verein mit politischem Anspruch, flachen Hierarchien und basisdemokratischen Entscheidungsprozessen«.
Die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) Berlin, die einige Beschäftigte vertritt, hat gerade eine Konflikt-Chronik veröffentlicht. Ausgangspunkt des Streits sei die Kündigungspraxis, die seit 2015 die »Gemüter in Teilen der Belegschaft« erregte. Im August 2016 habe sich deswegen eine Betriebsgruppe gegründet, der auch der Kläger vor dem Arbeitsgericht angehörte. Die Betriebsgruppe wendete sich am 18. August 2016 per Mail, die dem »nd« vorliegt, an die Belegschaft des SO36 und machte Vorschläge für die Tagesordnung einer Vollversammlung: Neben geheimen Wahlen forderte sie eine Diskussion über die Kündigungspraxis.
Mehrere MitarbeiterInnen, die ihren Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen wollen, beschreiben, dass daraufhin innerhalb der Belegschaft des SO36 »Stimmung gegen die Betriebsgruppe« gemacht wurde und deren Vertrauenswürdigkeit infrage gestellt wurde. Die Vollversammlung am 26. Oktober eskalierte dahingehend, dass die Geschäftsführung die Kündigung der Betriebsgruppe forderte und andernfalls nach Angaben der FAU der »Belegschaft in Aussicht stellte, ihre Arbeit einzustellen«. Diese Darstellung bestätigten mehrere MitarbeiterInnen dem »nd«.
Auf der Vereinsvollversammlung wurde beschlossen, dass die Mitglieder der Betriebsgruppe für lediglich zwei Wochen beurlaubt werden sollten. Nach einer Mediation durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung sollten die Mitglieder der Betriebsgruppe ab dem 1. Dezember 2016 weiter beschäftigt werden. Dazu kam es aber nicht. Vier der Betriebsgruppenmitglieder wurden gekündigt, ein Mitglied kündigte selbst. Der jetzige Kläger ging juristisch gegen seine Kündigung vor und erreichte vor dem Arbeitsgericht eine Rücknahme dieser. Seit dem 12. Mai 2017 ist er aber freigestellt. Alle Verhandlungsversuche, die auch zusammen mit der FAU vorgenommen wurden, scheiterten danach. Das SO36 erklärte dazu auf Nachfrage des »nd«: »Es gibt keinen Zusammenhang zwischen den ausgesprochenen Kündigungen und gewerkschaftlicher Organisation.«
Alex Wiesa, ein Mitglied der Arbeitsgruppe zum SO36 in der FAU sieht das anders: »Der Fall ist typisch. In einem Betrieb in dem linke Ansprüche vorherrschen, stehen diese Ansprüche mit der tatsächlichen Beschäftigungspraxis im Widerspruch.« Die FAU spricht deshalb von »Union Busting«, also der systematischen Unterdrückung gewerkschaftlicher Arbeit.
Im Kern geht es also nicht nur um 72 Euro und acht Stunden pro Monat, sondern auch um die Frage: Welche Rolle spielen politische Ideen. Oder wie es Alex Wiesa, der Basisgewerkschafter, formuliert: »Der linke Anspruch sollte sich auch in der Beschäftigungspraxis widerspiegeln.«
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