Machtmissbrauch im Londoner Parlament
Der zurückgetretene Verteidigungsminister Fallon ist kein Einzelfall in Sachen sexueller Belästigung
Sir Michael Fallon, bis jetzt einer der Zuverlässigsten in Theresa Mays zerstrittenem Kabinett, ist wegen eines Sexskandals gegangen, bevor die erboste Premierministerin ihn entlassen konnte. »Was vor zehn, 15 Jahren akzeptabel war, ist es heute nicht mehr«, stöhnte Fallon selbstkritisch. Im Zuge des Harvey-Weinstein-Affäre in den USA herrscht nämlich auch im Londoner Parlament der von May und Oppositionsführer Jeremy Corbyn bekundete Wunsch, Machtmissbrauch vor allem von Männern gegenüber von ihnen abhängigen Frauen einen Riegel vorzuschieben.
Dabei waren die Vorwürfe gegen Fallon im Vergleich zu jenen gegen andere Politiker nach Ansicht seines Opfers relativ geringfügig. Vor 15 Jahren hat er der Journalistin Julia Hartley Brewer bei einem gemeinsamen Abendessen während des konservativen Parteitages ans Knie gefasst. Die resolute Brewer lacht im nachhinein über die »Kneegate«-Geschichte, aber das half dem damals bedrängenden, heute bedrängten Fallon nicht. Ob er noch anderen Dreck am Stecken hat, bleibt unklar; aber BBC-Korrespondentin Laura Kuenssberg berichtet von einer Reihe weiblicher Tory-Abgeordneten, die am Mittwochnachmittag Mays Büro aufgesucht hätten.
Schlimmeres wird anderen Parlamentariern vorgeworfen. Mark Garnier, konservativer Handelsminister, hat zugegeben, seine Sekretärin anzüglich angeredet und zum Kauf von Sexspielzeugen geschickt zu haben. Jared O’Mara, Labour-Bezwinger des früheren Liberalenchefs Nick Clegg im Wahlkreis Sheffield Hallam, hat als 21-Jähriger sexistische und homophobe Äußerungen in sozialen Medien hinterlassen. Seine Fraktion akzeptierte das Geständnis des an Zerebralparese Leidenden als bedauerliche Jugendsünde. Doch andere Frauenbeschimpfungen vor einem halben Jahr scheinen zu beweisen, dass O’Mara auf seiner »Reise« vom jungen Macho nicht weit gekommen ist. Bis zur Klärung des Falles bleibt er aus der Labour-Fraktion ausgeschlossen.
Weitaus am Schlimmsten ist die Geschichte von Bex Bailey. Labours Nachwuchshoffnung, ein früheres Parteivorstandsmitglied, behauptet, als 19-Jährige von einer höheren Charge in der Partei vergewaltigt worden zu sein. Als sie das Verbrechen anzeigen wollte, riet ihr ein weiterer Parteigrande, alles für sich zu behalten; zu viel Offenheit könne ihrer Karriere schaden. Und dann ist da das umfassendste Beispiel von Machtmissbrauch: In den Parlamentskorridoren soll eine von konservativen Geschäftsführern zusammengestellte Liste von 40 Fraktionssündern umgehen. Sie wird nicht der Polizei übergeben, sondern dient dazu, Beschuldigte bei Abstimmungen von den Vorteilen der Linientreue zu überzeugen. Ein Schelm, wer dabei an Mafia und Omertà denkt.
Der gestürzte Fallon ist ein politisches Schwergewicht, der gegen Pazifismus wetterte und vor Diffamierungen seiner Gegner, darunter Labours Ex-Chef Ed Miliband, nicht zurückschreckte. Eine in den Medien aalglatt auftretende Dreckschleuder ist nicht leicht zu ersetzen. Doch wird nun ohnehin vor allem jemand mit sauberen, nicht wandernden Händen gesucht. Das Hauptproblem: Wegen Brexit und Wahlverlusten befindet sich May in einer denkbar schwachen Lage und kann sich einen großen Kabinettsumbau schlecht leisten, ohne das prekäre Machtgleichgewicht unter ihren Möchtegernnachfolgern zu gefährden.
Fallons Nachfolger, der 41-jährige, erst seit sieben Jahren im Parlament sitzende Gavin Williamson, leitete bisher das parlamentarische Geschäftsführerteam der Tories. Wird er seinem Nachfolger Julian Smith das Sündenregister der Kollegen übergeben? Kommt es nun zu neuen Rücktritten, gar Anklagen?
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