- Politik
- Einwanderungsgesetz und die LINKE
Bewegung unter Kontrolle
Die Jamaika-Koalition verhandelt über ein Einwanderungsgesetz - die LINKE diskutiert ein eigenes Konzept
Einwanderung gibt es in Deutschland schon lange. Bürger der Europäischen Union brauchen dafür in der Regel kein Visum oder einen Aufenthaltstitel. Hoch qualifizierte Fachkräfte aus dem Nicht-EU-Ausland können derzeit mittels einer «Blauen Karte» eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Die Voraussetzungen sind ein Hochschulabschluss, eine Erwerbsarbeit sowie ein Einkommen von mindestens 3300 Euro brutto monatlich. Die Möglichkeiten zur Einreise und zum Bleiberecht sind in Deutschland bisher in eher restriktiven und komplizierten Einzelgesetzen geregelt, etwa dem Aufenthaltsgesetz.
Schon vor den Sondierungsgesprächen war deswegen für die Grünen und die FDP klar: Eines der wichtigsten Projekte für eine mögliche Jamaika-Koalition soll ein umfassendes Einwanderungsgesetz werden. Dies könnte nach bisherigen Vorstellungen sowohl Regelungen für Migranten aus Nicht-EU-Staaten wie auch für Flüchtlinge umfassen. Noch sind die Ergebnisse der Verhandlungen nicht bekannt, doch die veröffentlichten Konzepte der Parteien lassen die grobe Richtung erkennen.
Die Union hatte sich Anfang Oktober etwa auf ein «Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz» geeinigt. Generell ist sie bei dem Thema Migration ablehnender, doch auch sie fordert einen Zuzug von hoch qualifizierten Ausländern. «Kein Arbeitsplatz soll unbesetzt bleiben, weil es an Fachkräften fehlt», heißt es in einer Erklärung. Voraussetzung für die Zuwanderung sei demnach der Nachweis eines Arbeitsplatzes und die Sicherung des Lebensunterhalts. Eine «Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme» dürfe es aber nicht geben«. Gleichzeitig will die Union mit der Einführung eines »Richtwertes« erreichen, dass jährlich maximal 200 000 Flüchtlinge - ihre Familien einbezogen - aufgenommen werden dürfen. Grundsätzlich setze man die Bemühungen fort, »die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren«.
Die FDP wiederum will die »Blaue Karte« reformieren. Ein »branchenübliches Einstiegsgehalt in einem qualifizierten Beruf« soll die Voraussetzung für die Aufenthaltserlaubnis sein. Für Migranten schlägt sie darüber hinaus eine »Chancenkarte« vor. Eine jährlich festzulegende Zahl von qualifizierten Einwanderern soll damit nach einem Punktesystem eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr bekommen, um sich in dieser Zeit einen Job zu suchen. »Gut integrierte« Flüchtlinge sollen außerdem die Möglichkeit bekommen, den Status zu wechseln (»Spurwechsel«) und ebenfalls zu dauerhaften Einwanderern zu werden. Die doppelte Staatsbürgerschaft soll prinzipiell, auch bei Einbürgerung, möglich sein.
Das Konzept der Grünen unterscheidet sich davon nur gering. Sie fordern eine »Talentkarte« für gut Qualifizierte. Wer sie hat, darf samt Familie auch ohne Jobangebot ins Land kommen und hat ein Jahr Zeit für die Berufssuche. Wenn ein Job gefunden wird, erhält der Bewerber ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Eine Kommission schlägt dem Bundestag jährlich eine »Talentkarten«-Zahl vor, je nach Bedarf. Ein Punktesystem soll entscheiden, wer sie bekommt. Auch in dem Konzept der Grünen soll ein »Spurwechsel« vom Asylrecht ins Einwanderungsrecht möglich sein.
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, warnte gegenüber »nd« vor einer Verknüpfung der Lage von Schutzsuchenden und Migranten. »Die Diskussion um ein Einwanderungsgesetz findet auf Kosten des Asylrechts statt.« Man wolle sich ein »Alibi« verschaffen, um an restriktiven Ansätzen festhalten zu können.
Auch in der LINKEN gibt es seit längerer Zeit eine Debatte um ein progressives Einwanderungsgesetz. Im März 2015 fasste die Bundestagsfraktion einen Beschluss, der erklärte: »Die Grenzen müssen offen sein für alle Menschen, nicht nur für besonders Wohlhabende oder Gebildete.« Die LINKE sei gegen eine »selektive Migrationspolitik«. Sevim Dağdelen, die Fraktionsbeauftragte für Migration und Integration, erklärte noch im September 2016: »Deutschland braucht kein Einwanderungsgesetz, das dem Kapital bessere Ausbeutungsbedingungen schafft und letztlich auf Lohndumping abzielt.«
Den Linksfraktionen der Landtage von Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen war dies für ihre realpolitischen Vorhaben offenbar zu wenig. In einer gemeinsamen Projektgruppe arbeiteten sie seit Herbst 2015 an einem ausführlichen Konzept für ein eigenes linkes Einwanderungs- und Flüchtlingsgesetz. Ein 32-seitiges Papier wurde Anfang dieses Jahres veröffentlicht.
Entscheidendes Element des Vorschlags ist eine legale Einreise für vorerst ein Jahr, wenn ein »sozialer Anknüpfungspunkt« der Migranten vorliegt. Dies umfasse nicht nur Erwerbsarbeit und Studium, sondern beispielsweise auch familiäre Verbindungen oder ehrenamtliches Engagement. Nach einem Jahr würde die soziale Verankerung erneut geprüft werden. Für Altfallregelungen bei Asylbewerbern soll zudem eine Lösung gefunden, der Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtert werden. Inklusion statt Abschiebung sei der Grundsatz: »Die Anordnung einer Ausreisepflicht ist die Ultima Ratio und kann nur unter strengsten Voraussetzungen auferlegt werden.«
Katja Kipping, die Ko-Vorsitzende der Linkspartei, hatte sich in verschiedenen Interviews seit Mitte September für das Konzept eingesetzt. »Ich unterstütze den Vorschlag, der aufzeigt, wie man ›offene Grenzen für alle‹ perspektivisch erreichen kann.« Unbestreitbar wäre der Gesetzesvorschlag der LINKEN im Vergleich zu den Plänen der Jamaika-Partner ein humaner Fortschritt. Andere Parteimitglieder sehen das Vorhaben dennoch weiter kritisch. »Ich bin aus zwei Gründen eher skeptisch: Ein Gesetz legt fest, wer zu uns kommen kann, aber eben auch, wer nicht zu uns kommen darf«, sagte Bernd Riexinger, Ko-Vorsitzender der Linkspartei, dem »nd«. »Diese Debatte würde uns viel Energie kosten und es bleibt offen, ob und was dabei am Ende wirklich herauskommt.« Mit dem derzeitigen Programm sei man gut aufgestellt. Die Linkspartei solle lieber die Pläne der Jamaika-Koalition bekämpfen. »Dabei müssen wir unsere Position in den Vordergrund stellen - Integration durch eine soziale Offensive.«
Der Politikwissenschaftler Fabian Georgi fasste das linke Dilemma in einem Aufsatz für die Zeitschrift »Luxemburg« zusammen: »Jede progressive Migrationspolitik wird in dem Widerspruch gefangen bleiben, dass sie nie human und gerecht sein kann, dass Migrationspolitik in einem kapitalistischen und rassistischen Weltsystem immer gewaltvoll ist und dass sie selbst Teil des Problems ist, das abgeschafft gehört. «
Klassische Länder mit Einwanderung
USA: Wer dauerhaft in den USA wohnen und arbeiten möchte, braucht eine »Green Card«. Gute Aussichten hat nur, wer etwa besonders qualifiziert oder mit einem US-Staatsbürger verheiratet ist oder in den USA investieren will. Die Einwanderungsbehörde veranstaltet seit 1990 zudem eine Lotterie, bei der man »Green Cards« gewinnen kann. Ein Computer entscheidet nach dem Zufallsprinzip. Trump hat nun angekündigt, die Verlosung abschaffen zu wollen.
Kanada: Hier wendet sich die Einwanderungspolitik vor allem an qualifizierte Arbeitskräfte. Das wird per Test und Punktesystem überprüft. Wer legal einwandern möchte, muss mindestens 67 von 100 Punkten erreichen. Getestet werden etwa Bildungsgrad sowie Englisch- und Französischkenntnisse. Besonders viele Punkte bekommen jene, die schon ein Job-Angebot haben, jung sind und bereits längere Zeit im Land gelebt haben.
Australien: Hier gibt es ein ähnliches Punktesystem. Wenn sich ein Ausländer dauerhaft auf dem Kontinent niederlassen möchte, spielen Ausbildung, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und Alter eine Rolle. Dazu gehört auch ein Multiple-Choice-Test mit Fragen zu Demokratie, Gesetzen und Landeskunde. Gefragt sind Mangelberufe. Neuankömmlinge sollten jünger als 45 Jahre alt sein. dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.