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Der nette Nazi von nebenan
«Neue Rechte»: Warum die sogenannte liberale Mitte in der Debatte Teil des Problems ist
Die Wahrheit liegt immer in der Mitte.« Man kennt das zum Beispiel aus Talkshows. Position A versus Position B plus ein beide Seiten abwägender »neutraler« Moderator oder »Experte«, und heraus kommt »die Wahrheit«, die dann irgendwo zwischen den beiden Positionen aufscheint. Es ist eine bestechend einfache Rechnung, und sie ist falsch. Wenn nämlich an Position A alles falsch und an Position B nur manches falsch ist, dann verschiebt sich »die Wahrheit« in Richtung des Falschen.
Zurzeit läuft in den Kinos ein Spot des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der im Rahmen der Kampagne »Demokratie leben - Wer, wenn nicht wir!« gezeigt wird. Unterlegt ist der Reklamefilm, der »deutsche Vielfalt« inszeniert und die Mitmachdemokratie ausruft (»Demokratie lebt, wenn wir sie leben«), mit dem Song »Wann?« von Rio Reiser. Hauptprotagonisten sind drei junge Männer in Bomberjacken und mit kahlrasierten blonden Schläfen. Die stoßen inmitten wasserfleckiger Betonbauten auf eine ballspielende Gruppe »Multikulti-Kids«. Der Ball rollt auf die Bomberjackenträger zu, Blondchen nimmt ihn, schaut auf die Kids und wirft ihnen den Ball zurück. Fürs finale Schlussbild des Filmchens animiert er seine Springerstiefelkumpels dazu, doch auch mitzutun, und am Ende sitzen alle gemeinsam auf einer Bühne und schunkeln zu Rio Reiser: »Wer, wenn nicht wir?« Der nette Nazi von nebenan, der doch auch dazu gehört zum vielstimmigen Konzert der Demokratie.
Und es schunkeln auch schon fast alle mit: Die Grünen diskutieren den »Heimatbegriff« und die Linkspartei darüber, ob die Verknüpfung der nationalen mit der sozialen Frage nicht doch auch irgendwie eine linke Forderung sein könnte. Alles könnte so schön harmonisch sein, wenn da nicht noch ein paar Unverbesserliche wären, die es beängstigend finden, wie schnell und wie weit der Diskurs nach rechts gerutscht ist, und die deshalb weiterhin darauf bestehen, dass rechtsextreme Positionen nicht die legitime Außengrenze des Diskurses sind, sondern deutlich dahinterliegen.
Unter dem Deckmantel der »Meinungsfreiheit« wird, seit dem Wahlerfolg der AfD verstärkt, rechtsextremen Positionen eine Bühne geboten. Dabei inszeniert sich die bürgerliche Mitte als liberale Kraft und als Zuschauer einer Auseinandersetzung zwischen Rechts und Links, in der sie die Rolle des neutralen Schiedsrichters einfordert, und entzieht sich jeglicher Verantwortung. Zwangsläufig werden in dieser Logik diejenigen, die sich der Eingemeindung rechtsextremer Positionen in ein gefühliges »Wir« verweigern und dagegen protestieren, zum Aggressor, die Neofaschisten zum Opfer. Die »Liberalen« waschen ihre Hände in Unschuld und zeigen mit dem Finger auf die »undemokratischen« Linken, derweil die Rechten die lachenden Dritten sind.
Ein anschauliches Beispiel dafür waren die Geschehnisse auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse: Dort haben die Veranstalter, die Meinungsfreiheit vor sich hertragend, rechtsextremen Verlagen nicht nur Messestände für deren Bücher, sondern auch eine Bühne für ein Schaulaufen mit den Stars der rechten Szene überlassen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Viele Veranstaltungen finden nicht auf der Buchmesse selbst, sondern in anderen Räumlichkeiten in Frankfurt statt. Der Veranstalter, die Buchmesse, hat die Programmhoheit, und wenn er unter Verweis auf den »neutralen Handelsplatz Buchmesse« extrem rechte Politaktivisten an andere Veranstaltungssäle in Frankfurt verweist, so ist das keine Beschneidung der Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit bedeutet nicht, eine öffentliche Plattform für seine Ideen zur Verfügung gestellt zu bekommen, sondern die Möglichkeit, eine Plattform - etwa einen Verlag oder eine Zeitung - zu gründen und die eigene Meinung zu publizieren. Jeder, der selbst irgendwann einmal versucht hat, einer Idee, sei es in Form einer Veranstaltung oder eines künstlerischen Werks, Aufmerksamkeit zu verschaffen, kann ein Lied davon singen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, Gehör zu finden und wahrgenommen zu werden, geschweige denn den kritiklosen Applaus der Medienöffentlichkeit zu ernten. Wenn aber schon die Begrifflichkeit eines Schlagwortes wie »Meinungsfreiheit« nicht mal mehr von den Veranstaltern der Buchmesse und den darüber berichtenden Journalisten intellektuell erfasst wird, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie den »Ideen«, die da von Rechtsaußen in die Runde geworfen werden, wenig bis nichts entgegenzusetzen haben.
So wurde Alexander Gauland (AfD), nachdem er davon gesprochen hatte, die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz »in Anatolien entsorgen« zu wollen, vorrangig dafür kritisiert, dass er mit der Wortwahl »entsorgen« in Bezug auf einen Menschen einen Vernichtungswillen ausgedrückt habe. Das ist zwar richtig, greift aber zu kurz. Die Herrenmenschenpose, mit der der Deutsche Gauland der Deutschen Özoğuz ihren Platz zuweist, der in Anatolien liege - das ist das Problem. Daraus spricht eine völkische Blutslogik, die zwischen den »Passdeutschen« bzw. »Deutschen mit migrantischem Hintergrund« und den »Blutsdeutschen« unterscheidet, die qua Herkunft ersteren gegenüber weisungsbefugt sind. Dass Gauland von »entsorgen« sprach, hat aber in der Debatte letztlich dazu geführt, diesen Zusammenhang zu verschleiern anstatt ihn kenntlich zu machen. Statt zu Argumenten, mit denen man Gaulands Haltung angriff, kam es zu einem moralischen Abwehrreflex, der durch die bewusste Verwendung menschenverachtender Terminologie ausgelöst worden war. Die Anhängerschaft Gaulands wird ihn sehr gut verstanden haben. Es hat sich nicht nur nach dem Brexit gezeigt, dass eine chauvinistische Kampagne chauvinistisches Verhalten im öffentlichen Raum deutlich fördert. Wenn jetzt, wie auf der Frankfurter Buchmesse geschehen, der Herrenmenschenpose Raum zur Selbstinszenierung geboten wird, zeugt das von mangelnder Empathie bei den »Liberalen« sowie von einer vollkommenen Entsolidarisierung mit den potenziellen Opfern rechtsextremer Übergriffe. Deren Ängste will niemand ernstnehmen. »Wir wollten einfach nur wie normale Menschen behandelt werden.« Man könnte auch und gerade als »Liberaler« darüber erschrecken, dass dieser Wunsch, der von Angehörigen der Opfer des NSU Bundespräsident Gauck gegenüber in einem »Hinterbliebenengespräch« formuliert wurde, offensichtlich in der gesellschaftlichen Realität keine Entsprechung findet. Zumindest sollte einem aber klar sein, dass dieser Wunsch der Angehörigen dem Hauptanliegen der rechten Szene, nämlich darüber zu bestimmen, wer ein »normaler Mensch« ist und wer nicht, diametral entgegensteht.
In der Debatte um Björn Höckes »Denkmal der Schande«-Rede war noch deutlicher zu beobachten, wie befangen die sogenannte liberale Mitte in der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremen ist. Erschreckt davon, dass Höcke auf Rudolf Augstein verweisen konnte, entzog man sich der Klarstellung, dass Augsteins Worte damals genauso geschichtsrevisionistisch und antisemitisch (»Haifische im Anwaltsgewand«) waren, wie sie das heute sind. Der Verdacht, dass das daran liegt, dass damals schon nicht verstanden wurde, was genau problematisch an Augsteins Ausführungen ist, erhärtet sich, wenn man sieht, wie »Der Spiegel« mit der Geschichte umgeht: Augstein junior darf dem Senior attestieren, nichts mit dem Geschichtsrevisionismus der Rechten gemein zu haben bzw. lediglich »keine schönen Formulierungen« gebraucht zu haben. Und das war’s. Stefan Niggemeiers Mahnung in den »Übermedien«, sich mit Rudolf Augsteins Geschichtsrevisionismus auseinanderzusetzen, blieb ohne Widerhall. Und wen wundert’s? Martin Walsers Friedenspreisrede (1998), die als Blaupause für heutige AfD-Aufreger nur zu gut taugen würde, wurde nicht nur mit stehenden Ovationen in der Paulskirche gefeiert, sondern erfuhr auch in den Feuilletons breite Anerkennung. Dabei findet man in ihr bereits all das angelegt, was Höcke und Konsorten heute von sich geben: »Moralkeule Auschwitz«, »Meinungssoldaten«, die Idee eines »Schuldkultes«, bei dem »Intellektuelle (...) uns [den Deutschen] wehtun wollen, weil sie finden, wir haben das verdient«.
An der Zivilisation wird nicht als störend empfunden, dass sie nur als Camouflage gesellschaftlicher Barbarei dient, viel eher wird sie als Zwangsjacke empfunden, die gesprengt werden muss. Der »Spiegel«- Redakteur Johannes Saltzwedel empfand da ganz ähnlich und hievte »Finis Germaniae«, ein geschichtsrevisionistisches Machwerk, das in eine ähnliche Kerbe wie Walsers Rede schlägt, in eine Sachbuch-Bestenliste. Dank des darauffolgenden Feuilletongetöses fand das Buch in die Bestsellerlisten. Die »liberale Mitte«, die nichts anderes kennt als moralische Reflexe, ist selbst anfällig für die Ideen der »Fremdbestimmtheit« der Nation, die einen »Schuldkult« kultiviere, und zeigt so, dass sie Teil des Problems ist und weit davon entfernt, der ehrliche Makler zu sein, der sie in der Auseinandersetzung mit Rechts zu sein vorgibt.
Dass es den »Der tut nix, der will doch nur spielen«-Neonazi, wie er im Kinospot der Bundesregierung gezeigt wird, nicht gibt, scheint auch noch nicht zu allen durchgedrungen zu sein: Verharmlosend werden da »gemäßigte« »neue Rechte« von den Stiefelnazis unterschieden, obwohl jeder, der es wissen will, auch wissen kann, dass es gerade der Schulterschluss zwischen Neonazis, »Identitären«, Burschenschaftlern und »konservativem« bürgerlichen Lager ist, der die rechte Szene so gefährlich macht.
Marc Felix Serrao, der schon in der »Süddeutschen Zeitung« ein treuer Fürsprecher der rechten Szene war, skandalisiert etwa in der sich immer mehr stramm nach rechts orientierenden »Neuen Zürcher Zeitung«, dass ein italienischer Wirt in München, der einen »Pegida«-Stammtisch beherbergt, schließen muss. Der »Spiegel«-Rechtsaußen Jan Fleischhauer greift das auf: Der Vorgang sei symptomatisch und man könne daran ablesen, »wie sich der Kampf gegen rechts so weit verselbständigt hat, dass jedes Augenmaß verloren gegangen ist«. Was Serrao verschweigt und Fleischhauer nicht nachliest, ist, wer »Pegida« in München ist: ein Sammelbecken Rechtsextremer, das von Neonazikadern und der Partei »Die Rechte« über Aktivisten der Identitären Bewegung und Fußball-Hooligans bis hin zu Figuren wie Martin Wiese reicht, der einen Bombenanschlag auf das jüdische Zentrum geplant hatte. Dass manch einer neben solchen Leuten nicht mehr gemütlich sein Bier trinken mochte, ist Serrao und Fleischhauer nicht verständlich, sondern ein Anzeichen für »verlorenes Augenmaß« beim Kampf gegen Rechts. Natürlich verlieren die beiden auch kein Wort darüber, dass nur ein paar hundert Meter Luftlinie von dieser Gaststätte entfernt im Jahr 2001 ein Überfall von Neonazis, die in der Gaststätte Burg Trausnitz den Geburtstag von Martin Wiese feierten, einen Griechen, der zum falschen Zeitpunkt das Lokal passierte, beinahe das Leben gekostet hätte. Der Haupttäter ist seinerzeit übrigens bei der Burschenschaft Danubia versteckt worden, in deren Räumlichkeiten sich auch die angeblich »neuen« mit »alten« Rechten wie Horst Mahler bei gemeinsamen Veranstaltungen mischen.
»Wer Nazis einlädt, hat Nazis auf der Messe - und, oh Wunder, die verhalten sich dann wie Nazis«, hat Jutta Ditfurth kürzlich treffend angemerkt. Da wird dann halt ein Zwischenruf auch mal mit einem Faustschlag beantwortet. Bedauerlich, aber er hätte er ja nichts dazwischenrufen müssen, der Trikont-Verleger Achim Bergmann, er hätte ja einfach den Mund halten können, seinen Kopf einziehen und stillschweigend seiner Wege gehen. So wie Protest, wenn es nach den Vorstellungen der »Liberalen« geht, überhaupt am besten nur mit hochgehaltenen Schildern und lautlos vonstattengehen sollte.
Und das ist erst der Anfang. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag zeichnet sich bereits eines ab: Das Problem sind nicht nur die Rechtsextremen, die mit neuer Arroganz immer mehr Platz im öffentlichen Raum einnehmen, sondern auch diejenigen, die den Rechten diesen Raum bereitwillig zur Verfügung stellen und - infolge einer falschen »Die Wahrheit liegt in der Mitte«-Rechnung - ihre Positionen als legitime und gleichwertige zulassen.
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