Düster-Urania mit Teletubbies

Die Performancetruppe Monster Truck arbeitet sich mäßig gelangweilt an »Siegfried« ab

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Traute ist das halbe Leben. Von diesem Gedanken schien die Performance-Truppe Monster Truck beseelt zu sein. Denn sie traute sich, Menschen einzuladen, um in den Sophiensaelen frei zum Label »Siegfried« zu assoziieren. Natürlich schwirren da als Referenzen der Sagenheld aus Xanten, das ganze Nibelungenthema und deutsche Großmannsträume durch den gedanklichen Raum.

Den abgedunkelten Raum der Sophiensaele erhellt zunächst ein Neonröhrenspiel, auf dem in vielfacher Kombination der Buchstabe »S«, gelegentlich auch der ganze Name »Siegfried« zu sehen ist. Die Bühne selbst nehmen drei Figuren in Beschlag. Es sind unförmige, aufgeblähte, im Disneyland-Stil gehaltene Tierfiguren. Eine Ente ist zu erkennen, ein Wesen zwischen Hund, Bär und Maulwurf, und etwas, das wie ein Schweinchen aussieht, statt der rosa Farbe aber die quietschgelbe eines Kükens hat. Diese drei Figuren trippeln über die Bühne. Sie begeben sich in Dreierformation, verlassen sie gelegentlich auch wieder. Sie rudern mit den Ärmchen. Sie hüpfen, sie setzen auch zu plumpen Pirouetten an. Ihre Bewegungsform ist ganz allgemein ungeschickt, gleicht grob animierten Comic-Figuren, hier eben nur in dreidimensionaler Ausführung.

Anfangs hält man dies für eine misslungene Einführungsszene. Je länger die Zeit vergeht, desto deutlicher schält sich heraus: Dies ist kein Intro, dies ist schon die zentrale Szene. Endlos gedehnt, aber eben zentral.

Und es passiert etwas sehr Merkwürdiges. Gut, das passiert oft im Theater, ist geradezu charakteristisch dafür. Aber selten vollzieht sich dieser Prozess in dieser gedanklichen Klarheit: Dem Zuschauer wird unmittelbar bewusst, wie er sich dem Künstler ergibt. Wie er nicht mehr widerstrebt und Setzungen hinterfragt, sondern das Angebot des szenischen Assoziationsraums annimmt. Der Zuschauer betreibt dies natürlich aus purer Verzweiflung. Er kann sich ja schwer eingestehen, einen Fehlgriff in der Auswahl des Abends geleistet zu haben. Er spürt den Druck der Freunde und Bekannten, die, das merkt er, ähnlich fassungslos wie er selbst, aufs schwarze Loch der Bühne starren. Vor allem aber will er sich partout selbst nicht langweilen.

Weil es noch immer zu den guten Theatersitten gehört, in der Vorstellung nicht auf dem Smartphone herumzudaddeln, bleibt dieses ultimative Zerstreuungsinstrument brav in der Tasche. Durch Augenschlitze Blicke auf das Nicht-Geschehen auf die Bühne werfend, wird das, was zu erkennen ist, nun zur Startrampe für eigene Assoziationskaskaden. Da sieht man plötzlich - der einsetzende Bühnennebel hilft famos dabei - in den ungelenken Puppen tatsächlich ganze Nibelungenhorden. Die drei - sind es Gunther, Gernot, Giselher? Dann ist der Erpel plötzlich Siegfried, das Küken Hagen. Und Kriemhild? Ja, Kriemhild will partout nicht passen, während Brünnhilde vielleicht das Braunfell-Wesen ist. Als der Erpel fällt, denkt man sofort an Siegfried, von Donald Duck geht es zum echten Donald, dem mit der blonden Strähne im Disneyheimatland.

All diese Gedankensprünge sind ganz schön. Sie sind auch eingebettet in eine modernistisch-technisch sirrende Klangumgebung. Ausgestellt und inszeniert habend möchten man sie aber dennoch nicht. Erwähnung finden sie hier nur, weil sie das dunkle Handlungsloch dieses mit »Siegfried« überschriebenen Abends füllten.

Unmerklich ändert sich dann das Format, wird gar zu einem Stück minimalistischer Konzeptkunst. Minimal Art ist ja bereits, auch das hat man (bitter) lernen müssen, wenn eine ganz banale Idee nur seriell praktiziert wird. Algorithmen sind genau das nicht, die Abschweifung zur künstlichen Intelligenz sei erlaubt. Minimal Art in der AI-Szene wäre, wenn Amazon einem immer das gleiche Buch empfehlen, Siri immer nur mit einer einzigen Telefonnummer verbinden würde. Das traut sich die AI noch nicht - das also wäre die letzte Grenze.

Die Minimal Art dieses »Siegfried«-Abends besteht darin, das auf der Neonwand ein Lexikon ab dem Buchstaben S alphabetisch durchgegangen wird; bei Noise-Getöse wird das dem Begriff entsprechende Bild an eine im Bühnenvordergrund drapierte halb transparente Wand geworfen. Die Prozedur wird stoisch bis zum Namen Siegfried durchgezogen. Das erinnert an Lichtbildervorträge bei der Urania.

Es verblüfft an diesem Abend die Chuzpe zum Fast-Nichts. Man erkennt immerhin, dass diese auf vielen Festivals gefeierte Truppe ihre Mittel souverän beherrscht. Der Raum ist schön gebaut aus wenig Licht und wenigen gut gewählten Objekten. Die Klanglandschaft ist ebenfalls gut strukturiert. All diese Mittel werden nun aber in gepflegter Langeweile eingesetzt. Das Publikum wird dabei zur Selbstinfragestellung gebracht: Was macht man hier? Was erwartet man von Theaterkunst? Diese erzwungene Selbsthinterfragung hat, so sie intendiert ist, einen radikalen Moment, gewiss. Der Zuschauer bittet in diesem Fall aber auch die Künstler um radikale Selbsthinterfragung ihres lediglich lässigen Rumspielens mit ein paar öffentlich geförderten Instrumenten.

4. und 5. November, 20 Uhr, Sophiensaele, Sophienstraße 18, Mitte

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