- Wirtschaft und Umwelt
- Klimaschutz
Die Straße ist voll deutschem Dreck
Doch wer den sozial-ökologischen Wandel will, muss sich mit der Autoindustrie in Deutschland anlegen. Teil 2 unserer Reihe »Mythos Klimaretter Deutschland«
»Germany? Oh yeah, you have the Autobahn – no speed limit, right?« Es ist schon faszinierend, wie viele Menschen nach Deutschland reisen, um auf den weltbekannten Autobahnen etwas zu tun, was in keinem anderen Land möglich ist: Wie ein Wahnsinniger mit über 200 Stundenkilometern durch die Lande zu brettern. Was im Rausch der Geschwindigkeit in den immer größeren SUVs unter die Räder kommt: Immer mehr Sprit wird verbrannt, immer mehr CO2 in die Atmosphäre geblasen, das Klima immer mehr aufgeheizt. Wieso darf man(n) das hierzulande?
Bei der ganzen Raserei gerät auch die Tatsache unter die Räder, dass es im Gegensatz zum Stromsektor in den vergangenen Jahrzehnten beim Verkehr keinerlei Energiewende gab. Im Gegenteil: 2016 lagen die Emissionen sogar leicht über dem Niveau von 1990. Fast ein Fünftel der deutschen Emissionen entsteht im Verkehrssektor.
Tobias Haas arbeitet als promovierter Politikwissenschaftler an der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin.
Tadzio Müller ist Referent für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Zentrales Symbol des kapitalistischen Fortschritts
Verkehrswende? Die ist vor dem Hintergrund der kulturellen Bedeutung des Autos und der Verankerung in den Alltagspraxen breiter Bevölkerungsschichten eine Herkulesaufgabe. Das Auto ist das zentrale Symbol kapitalistischen Fortschritts; die gesamte Stadtplanung ist seit dem 20. Jahrhunderts daran ausgerichtet. In allen westlichen Gesellschaften dominiert die Automobilität.
In Deutschland jedoch kommt als Besonderheit noch die immense Bedeutung der Automobilindustrie dazu. VW, Daimler, BMW – die Autoindustrie ist der bestimmende Industriesektor im deutschen Exportmodell. Mehr als 800.000 Menschen sind mit der Produktion von Luxuskarossen und Mittelstandswagen beschäftigt. Die Arbeitsplätze allerdings, die diesen Menschen Auskommen und Sicherheit geben, sorgen dafür, dass in der Welt Feinstaub, Krebs und Asthma gedeihen und die Fieberkurve der Erde weiter steigt. Wer daher vom sozial-ökologischen Umbau in der BRD und globaler Klimagerechtigkeit reden will, darf vom notwendigen Umbau der deutschen Autoindustrie nicht schweigen.
Fakt ist: Im Gegensatz zu anderen destruktiven Technologien wie Atom- und Kohlekraft gibt es hierzulande keine dynamische soziale Bewegung gegen die (fossilistische) Automobilität. Das wurde beim größten Verbrechen des deutschen Staatsmonopolistischen Kapitalismus, auch bekannt als Dieselskandal, offensichtlich. Mit dem Rückhalt durch deutsche und europäische Staatsapparate hat die Autoindustrie über Jahre und Jahrzehnte hinweg das Gesetz gebrochen, Kund*innen und Arbeiter*innen belogen, ganz bewusst die Gesundheit gefährdet und den Tod von Menschen in Kauf genommen. 2015 starben EU-weit 11.400 Menschen an den Folgen des Dieselskandals. Bis heute sitzt deswegen nicht ein Automanager in Europa hinter Gittern.
Wir haben die Autoindustrie bislang verschont
Wir stellen die folgende These auf: Signifikante Emissionsreduktionen gibt es nur in industriellen Sektoren, gegen die sich starke soziale Bewegungen formieren. Im Stromsektor ist das der Fall. In der Landwirtschaft gibt es das in Ansätzen. Nur die Autoindustrie, diese heilige Kuh der Deutschen, ist von unserer Kritik bisher verschont geblieben.
Das muss sich dringend ändern. Die Industrie hat uns den Gefallen getan, sich mit dem Dieselskandal in moralischer Hinsicht sturmreif zu schießen. Im Gegenzug sollten die Bewegungen, die für einen sozial-ökologischen Umbau kämpfen, diese Möglichkeit nutzen, um die Bastionen dieser Industrie anzugreifen – von Wolfsburg nach München, von Stuttgart bis zum Kanzler*innenamt. Und wie auch in der Kohleindustrie lässt sich nur mit den Arbeiter*innen der Autoindustrie gemeinsam über Alternativen für eine sozial-ökologische Zukunft verhandeln. Denn die Konzerne verteidigen im Schulterschluss mit der Bundesregierung eisern den Verbrennungsmotor und versuchen mit der Entwicklung von E-Motoren, die Vorherrschaft des Automobils zu erneuern. Allerdings lösen E-Mobile weder Probleme wie Staus oder Unfälle, noch ist ihre Klimabilanz vorbildlich - ganz zu schweigen von ihrem immensen Rohstoffbedarf, der nicht selten Menschenrechtsverletzungen in Kauf nimmt.
Wir brauchen eine Verkehrswende, die den Schienenverkehr, den öffentlichen Personennahverkehr und die Fahrradinfrastruktur stärkt und vernetzte Mobilitätsangebote entwickelt. Und weil wie bei der Stromwende der Ausbau von Erneuerbaren nur mit der Abschaltung der Kohle Sinn macht, bringt die Förderung öffentlicher Verkehrsangebote nur etwas, wenn man gleichzeitig den individuellen Autoverkehr konsequent eindämmt. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gehört auf jeden Fall dazu.
Teil 1 der Serie ist hier zu lesen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.