Erdogan kündigt türkische Automarke an

Die Fahrzeugproduktion boomt seit Jahren in der Türkei, vor allem europäische Firmen lassen hier bauen

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 3 Min.

Früher war er von türkischen Straßen nicht wegzudenken: Der Tofaş. Das Auto wurde seit den 1970er Jahren nach Fiat-Modellen gebaut, aber mit eigener Marke verkauft. Seit den Nullerjahren ist das nicht mehr so: Tofaş produziert nur noch Fiats, Citroëns und Peugeots. Mit der Zeit verschwanden die Tofaş von den Straßen. Ebenso wie die Anadols, in Kooperation mit Ford für den türkischen Markt hergestellte Pkw, deren Fertigung in den 1990er Jahren eingestellt wurde.

Bald aber könnte es ein neues »türkisches« Auto geben: Am Donnerstag hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt, man plane eine eigene Automarke, die schon 2021 vom Band gehen solle. »Man« ist in diesem Fall ein Konsortium fünf türkischer Unternehmen: Der Mobilfunkanbieter Turkcell, die unter anderem Fahrzeugteile produzierende Anadolu-Gruppe, die türkisch-katarische BMC, die Zorlu und die Kıraça Holding. Die Pläne scheinen ausgereift, es handelt sich um mehr als eine spontane Schnapsidee Erdoğans. Im Übrigen erfolgte die Ankündigung in bekannter Manier: Ein Ende der »nationalen Schande«, gemeint ist die fehlende Automarke »Made in Turkey«, sei in Sicht, so der Präsident.

Die Ankündigung ist nicht nur an die türkische Bevölkerung gerichtet, von der Erdoğan glaubt, sie werde bevorzugt ein »einheimisches« Auto kaufen, sondern auch an ausländische Firmen. Denn die Türkei ist für die Autoindustrie Absatzmarkt, vor allem aber ist sie verlängerte Werkbank westlicher und asiatischer Autobauer. Neben der Textilbranche ist die Autoproduktion das wichtigste Standbein der Industrie und in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. Zwischen 2000 und 2014 investierten Firmen wie Ford, Renault oder Fiat mehr als zwölf Milliarden US-Dollar. Viele Autobauer haben eigene Werke in der Türkei. Daimler beispielsweise betreibt eine Busfabrik in Hoşdere. Die AKP hat die Investitionsbedingungen für Unternehmen viele Jahre vorteilhaft gestaltet und niedrige Löhne sowie wenig Arbeitsschutz bei gleichzeitig hoher Qualifikation und politischer Stabilität geboten; letzteres hat sich erst in den vergangenen zwei Jahren gewandelt.

Trotz einer gewerkschaftlich aktiven, streikerfahrenen Arbeiterschaft - gerade im Industriezentrum Bursa - konnten jahrelang Produktionsrekorde erzielt werden. 2014 wurden laut der türkischen Regierungsagentur ISPAT 791 000 Pkw gebaut, 2002 waren es noch 204 000. 2015 wurden insgesamt 1,6 Millionen Autos in der Türkei hergestellt. Verkauft wird vor allem außerhalb des Landes: Drei von vier Fahrzeugen werden exportiert. Der Vereinigung Türkischer Exporteure (TIM) zufolge erreichten die Ausfuhren der Autoindustrie im ersten Quartal 2017 einen neuen Höchststand. Auch Zulieferer produzieren fleißig am Bosporus, Bosch beschäftigt beispielsweise 16 600 Mitarbeiter in dem Land.

Was bedeuten nun die Pläne, mit einer »einheimischen« Marke an den Start zu gehen? Nicht mehr nur für ausländische Firmen zu produzieren, sondern selbst mitzumischen, verspräche unter bestimmten Umständen ein profitables Geschäft. Es geht aber bei den Plänen auch darum, ein politisches Zeichen zu setzen, nach dem Motto: »Wir können es selbst«. Schon in der Vergangenheit wurde das Auto »Made in Turkey« von der AKP als politisches Thema aufgebauscht, zum Beispiel in Wahlkämpfen. Letzte Woche dann sagte Erdoğan, man werde bei dem Projekt keine weiteren Verzögerungen dulden. Er selbst werde der erste Kunde sein - bleibt nur offen, ob die Mehrheit der türkischen Autofahrer tatsächlich einen neuen Tofaş oder Anadol bevorzugt.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.