Die Klimafrage ist kein grünes Lifestyle-Lametta

Klimaschutz ist eine Frage des Eigentums und damit letztlich eine des Gesellschaftssystems, findet Lorenz Gösta Beutin

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 4 Min.

»System change, not climate change.« Das war das verbindende Thema der Proteste am Wochenende in Bonn. 25.000 demonstrierten in der Innenstadt der ehemaligen Bundeshauptstadt für das Ende der Kohleverstromung und für den Stopp des Klimawandels. 4500 Menschen legten bei »Ende Gelände« im rheinischen Braunkohlerevier zumindest zeitweise die Bagger von RWE lahm. Ab Montag treffen sich in Bonn nun die Vertreterinnen und Vertreter der Staaten aus aller Welt. Im Kern geht es um nichts weniger als die Rettung der Menschheit. Was übertrieben klingt, ist bittere Realität für Millionen von Menschen.

Überschwemmungen, Hurrikans, Dürren, Wassermangel und Ernteausfälle, mehr Krankheiten: Vor allem im globalen Süden sind die Klimawandelfolgen keine Nachrichten in der Tagesschau, sondern knallharte Wirklichkeit. Der Klimawandel zerstört unsere Lebensgrundlagen. Hunderttausende sind Umweltflüchtlinge, ziehen in platzende Städte, verlassen ihre Herkunftsländer, schwelende Konflikte werden verschärft. Auch in Deutschland – Stichwort Herbststürme mit vielen Toten und Milliardenschäden – ist der Anstieg der Temperaturen zu spüren. In Europa ist es heute ein Grad wärmer als in der vorindustriellen Zeit vor 1880. Alte und Kranke sterben in Rekordsommern, die Landwirtschaft stöhnt. In Skandinavien wird es künftig viel mehr Regen geben. In südlichen Ländern wie Spanien wird es für den Anbau von Wein, Zitronen und Oliven zu heiß und trocken. Arten sterben rund um den Globus in Rekordtempo aus.

Die große Klima-Ungerechtigkeit ist historische Tatsache: Die Industriestaaten haben den menschengemachten Klimawandel am meisten verursacht. Das CO2, das durch die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas entsteht, haben Länder wie Deutschland in der »Müllkippe Atmosphäre« abgelagert, ohne etwas dafür zu zahlen. Je reicher jemand ist, desto größter sein ökologischer Fußabdruck. Die Zeche des Klimawandels zahlen nicht die Energiekonzerne, Banken oder Fonds. Es sind die Ärmsten der Armen, die durch Versteppung und Extremhitze ihre Heimat verlieren. Deren Leben immer schwerer wird, besonders für Frauen, wie Studien zeigen. Die ihre Inseln wie Fidschi, das die Präsidentschaft der diesjährigen Weltklimakonferenz innehat, oder Kiribati verlassen müssen, weil der Meeresspiegel ihren Lebensraum auffrisst. Bei Klimaschutz geht es nicht um veganen Latte Macchiato. Es geht um Verdursten oder Trinken, um Verhungern oder Essen.

Für uns Linke ist Öko kein grünes Lifestyle-Thema. Die Klimafrage ist eine knallharte soziale Frage. Sie ist eine Frage der globalen (Un)Gerechtigkeit, falscher Verteilung von Verantwortung und Lasten. Was tun? Die letzten vier Jahre Große Koalition waren für das Klima ein großer Reinfall. Noch nie war die CO2-Konzentration so hoch in den letzten Millionen Jahren wie 2017. Um das 2-Grad-Limit, das im Pariser Klimaabkommen 2015 vereinbart wurde, nicht zu reißen, bleiben bei gleichem Schneckentempo der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft nur noch zwölf Jahre. Halten die Staaten ihre freiwilligen Selbstverpflichtungen unter dem Pariser Abkommen ein, wird die Erdtemperatur um drei Grad steigen, so ein zur Klimakonferenz vorgestellter UN-Klimaschutzlücken-Bericht.

Deutschland muss seiner Verantwortung nachkommen. Merkel und Co. machen einen auf Klimaschutz-Weltmeister, dabei ist der CO2-Ausstoß zwischen Ostsee und Alpen höher als 2009. Auf Deutschlands Straßen pusten Autos und LKW mehr Klimagase in die Luft als 1990. Eine echte Agrarwende ist nicht in Sicht. Ein Kohleausstieg, ein Ende der Zulassung von PKW-Verbrennungsmotoren wie in europäischen Nachbarländern, ein Klimaschutzgesetz, ein CO2-Preis oder Emissionshandel-Mindestpreis, all das ist in der größten EU-Industrienation Fehlanzeige. Zuletzt hat die Bundesregierung unter SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sogar die Grundlage der deutschen Energiewende, das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), von fester Förderung auf marktbasierte Ausschreibungen zerstückelt. Die genossenschaftlichen Bürgerenergien wurden den großen Kapitalgebern zum Fraß vorgeworfen. Auch die Ausbauziele wurden gedeckelt. Die Großindustrie wurde allein in 2016 mit elf Milliarden Euro Energiewendekosten entlastet. Die kleinen Haushalte zahlen dreimal so viel für ihren Strom wie Stahlwerke und Autobauer. Wie diese Knackpunkte der Klima- und Energiepolitik angegangen werden, daran wird sich die Mitte-Rechts-Koalition von Union, FDP und Grünen messen lassen müssen.

Die Klimafrage ist eine Frage des Eigentums und damit letztlich eine des Gesellschaftssystems. Grünes Mitregierungs-Lifestyle-Lametta führt in die klimapolitische Sackgasse. Wenn es uns nicht gelingt, einen radikalen Wandel weg vom Primat des fossilen Profitinteresses hin zu nachhaltigem, sozialem und gerechtem Wirtschaften zu erkämpfen, sieht es düster aus, besonders für die Staaten an der Peripherie der kapitalistischen Industrienationen. Die Proteste gegen die deutsche Kohleverstromung am Wochenende im Rheinland kämpfen für Klimagerechtigkeit überall. Für einen schnellen und sozialverträglichen Kohleausstieg, ein Ende der Braunkohle in NRW und Brandenburg. Eine entschlossene und gerechte Klimapolitik ist nötig und möglich.

Lorenz Gösta Beutin ist Klima- und Energiepolitiker der LINKEN und Landessprecher der LINKEN in Schleswig-Holstein.

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