Kein »Weiter so!« gegen rechts

Diether Dehm will sich nicht mit einer Spaltung der Linken abfinden

  • Lesedauer: 5 Min.

Sind an der AfD immer nur die andern schuld? SPD und Grüne mit ihrer Austeritäts-Agenda2010? Der altdeutsche Untertanengeist vor allem »im Osten«? CDU/CSU mit rechten Parolen? Gilt also nur für uns Linke ein dreimalsatt selbstgefälliges »Weiter so!«?

Christian Baron hat mit mutiger Brillianz im »nd« (und seinem Buch »Warum die Linken die Arbeiter verachten«) auch an Eribon und Owen Jones anknüpfend, die Linken zu neuem Denken gegen rechts angeregt. Aber auch dazu, die beiden »getrennten Lebenswelten« - der urbanen »Milieus« und die Werktätigen - nicht mehr länger nur statisch gegeneinander zu definieren. Zu einer Art »drittem Weg«. Durchaus mit dem Grundgesetz, das ja - besonders eine sozialistische Partei - aufruft, »an der Willensbildung des Volks mitzuwirken« (Art. 21), also ihre verschiedenen »Milieus« nicht wählerfangend nur als passives Sprachrohr in verschiedenen Strömungen verschieden zu bedienen, sondern auch unter eigenen Anhängern Umdenken zu organisieren. Und zwar innerhalb beider »Milieus«! Aber Achtung: die »Weltoffenen« werden stets zwischen uns und allen anderen Parteien schwanken. Die »Prekarisierten« hingegen zunächst nur zwischen linken Persönlichkeiten, rechten Omnipotenz-Verheißungen oder der in den Stammtisch gebissenen Ohnmacht.

Die bürgerliche »Metapherntheorie« lehrt, mit Feldzügen gegen falsche Wortbilder den Teufel rechter Ideologieelemente auszutreiben. So entstand eine Orwellsche Sprachpolizei. Eine Inquisition gegen Worte wie »Heimat« als angeblicher Keimform von Nationalismus. Gegen (kindliches) Fremdeln als »Brutstätte« von Fremdenhass. Wer israelische Siedlungen kritisierte, wurde flugs als »Antisemit« gepostet. Wer für »Grenzen« oder gar »Obergrenzen« sprach (weil es weder in der Physik noch im sozialen Wohnungsbau etwas unbegrenztes gibt), kam an den Pranger: »AfD-affin«. Fast jeder Witz mit irgendeiner Geschlechtlichkeit wies reflexartig »übergriffigen Sexismus« aus. Wer die Rechtsgrundlagen der EU als menschenfeindlich kritisierte, wurde als »antieuropäisch« ausgemacht (obwohl Russland und somit die größten europäischen Städte, Moskau und Petersburg, von dieser Rumpf-EU den Wirtschaftskrieg erklärt bekommen hatte). Womit der AfD das demagogische Privileg zugespielt wurde, motzig dem etablierten Euro-Hosianna-Chor entgegenzutröten. Und bei allem sollte das chauvinistische Schimpfwort »Bildungsferne« den Elitären nur provinzielle Chauvis von unten fernhalten.

Die wenigen seriösen, psychologischen Studien hingegen legen »Rassismus« nicht einfach als anschwellendes »Fremdeln« bloß, sondern immer auch als terroristisch pervertierte Chiffre um den Kern subversiver Unzufriedenheit. Rassismus ersetzt dabei klassengesellschaftliche Zusammenhänge durch subkomplexe Assoziationen, also aus zusammengeklebten Vorurteilen: aus Sozialneid gegen oben und Ekel-Sperre gegen Geschädigtere. Antifaschistische Aufklärung gelingt darum wirkmächtig nur, soziale Widersprüche aufbrechend und aussprechend, also populär dechiffrierend. Und durch praktische Defragmentierung, also mittels logischer Klassensichten, die im solidarischen – ja, am besten im multikulturellen - Kampf gegen die Kapitalprofiteure erworben werden. (Streik auch als kulturell nachhaltigste Zivilisationsoffensive!) Wobei am jeweiligen Eigennutz der Aufzuklärenden durchaus angeknüpft werden darf: gegen Mietwucher und Gentrifizierung - auch im Prenzlauer Berg. Mit einem neuen Glücksentwurf für Alter und Rente. Für die materielle und kulturelle Aufwertung der Arbeitskraft. Für lebenslange öffentliche Bildungsangebote - bei radikaler Arbeitszeitverkürzung. Und für eine Zuwanderungspolitik, die das politische Asyl ausbaut, aber eben auch die mit den entsprechenden Asylanträgen befassten, lahmgesparten Ämter.

Ja, auch in proletarischen, wie multimigranten, prekarisierten Lebenswelten muss noch erheblich mehr für Frauen-Selbstbestimmung, für internationale Solidarität, für die Genfer Flüchtlingskonvention und gegen die Fluchtursachen NATO und Freihandelsterrorismus (der sich als »neoliberal« verharmlost) geworben werden.

Einerseits ist nicht jeder Geflüchtete eine »Bereicherung« (wie F.J.Weise in BILD, 12.12.15 schrieb, so, als ob das lybische Mädchen übers Meer nach Deutschland gekommen wäre, um Herrn Weise oder Daimlers Zetsche zu bereichern). Andererseits wäre es deutsch-/EU-zentriert, nur hiesige Probleme bei Migration und Lohndrücker-Gefahren, beim imperialistisch-pervertierten Brain-Drain zu beklagen. Manch erschütterndes Foto ist noch nicht veröffentlicht: von stechmückenübersäten Babygesichtern, HIV-infizierten Alten, von Dahinsiechenden ohne Penny für Flucht und Schleuser in den ärmsten, ausgedörrten oder überschwemmten Ländern. Von dort, von wo nicht nur Geld, sondern Auszubildende, Ärzte, Architekten, Ingenieure und andere künftige Fachkräfte abgezogen und anderswo willkommen geheißen werden. Jede Milliarde raus aus dem NATO-Etat für die Entwicklungshilfe wäre eine kämpferische Forderung zur Verminderung der Fluchttragödien und für besseres Lebens – im Prenzlauer Berg, wie in Marzahn! Aber auch in Gambia. Antiimperialismus verbindet. Der Freihandelsterrorismus sollte dabei sprachlich nicht mehr länger als (neo-)liberal» versüßt werden und auch nicht der Faschismus als «national-sozialistisch». In ihren Leichensummen gleichen sich beide imperialistische Player längst an. Spätestens seit Pinochet wuchs zusammen, was zusammengehört: Chicagoboys und KZ. Da muss linke Bündnispolitik den Profitkannibalismus der Kapitalfreiheit und des Faschismus gemeinsam angreifen und niederringen. Proletarisch und bürgerlich demokratisch: «Zwischen dem Starken und dem Schwachen knechtet die Freiheit. Und befreit das Gesetz!» (Rousseau)

Wo sich Linke allerdings weiter nur als Wurmfortsatz der spaltenden, politischen Correctness verstehen, um im wohligen Mainstream mitzusurfen, wird die Arbeiterbewegung immer schwächer, weil nur Antifaschismus, dieser zutiefst demokratische Antiimperialismus, den Kampf gegen Antikommunismus und Gewerkschaftsfeindlichkeit einschliesst, während politische Correctness locker damit surfen lässt. Da werden halt mal NATO-Truppen an die russische Grenze verlegt, «weil Putin homophob ist». Da gilt schon mal ein «Schwamm drüber», dass der antikommunistische Krieg des deutschen Monopolkapitals gegen «die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung» 27 Millionen Sowjetmenschen getötet hat.

Es hat weltweit einige Faschismen ohne Antisemitismus und Homophobie gegeben. Aber keinen einzigen Faschismus ohne Antikommunismus, der nicht Gewerkschaften und linke Parteien als roten Kern eines organisiert werktätigen Potenzials für materielle Selbstermächtigung zerschlagen hat. Warum? Weil am Ende nur der Aufstand der Geschädigten gegen die Beschädiger sowohl individualpsychologisch, als auch in Klassen und Schichten, nachhaltig den Rechten die Wähler entzieht und gegen Chauvinismus imprägniert. Und nichtimperialistische Milieus versöhnt. Vielleicht auch irgendwann bei uns.

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