EU will ihr Asylproblem exportieren

Warnungen und parlamentarischer Widerstand gegen den Entwurf der EU-Kommission zu einer neuen Dublin-Verordnung wächst

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Jahr 2015 gilt im öffentlichen Sprachgebrauch als Jahr der Flüchtlingskrise. Auch für die EU-Kommission, denn obwohl im Sommer jenes Jahres die Umsetzung der Dublin III-Verordnungen in das nationale Recht der EU-Mitgliedsstaaten gerade erst abgeschlossen war, machte sie sich umgehend an eine erneute, grundlegende Reform des Asylrechts. Das Ergebnis liegt als neue Verordnung vor - Dublin IV. Die Zahl der Kritiker des Entwurfes wächst allerdings rasant. Vor Tagen erhielten diese mit einem Beschluss unerwarteten Rückenwind, den der Innenausschuss des EU-Parlaments traf. In seiner Stellungnahme lässt der Ausschuss am Dublin-IV-Vorschlag der Kommission kein gutes Haar und stellt diesem eine Alternative entgegen (»nd« berichtete).

Viel hängt vom Ausgang dieses Streits ab, für die Flüchtlinge wie für die EU-Länder selbst. Denn im Falle der Verwirklichung von Dublin IV nach Kommissionswunsch blüht ihnen eine Lawine an juristischen Verfahren, die von den Verfassern offenbar in Kauf genommen werden, wie Constanin Hruschka, Mitarbeiter des »Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik«, auf einer Informationsveranstaltung des Mediendienstes Integration in Berlin am Montag ausmalte.

Nach dem Entwurf gilt die Aufmerksamkeit der Behörden künftig nicht mehr zuerst den individuellen Fluchtgründen der Schutzsuchenden, sondern der Frage, wer für ihr Verfahren zuständig ist. Die Zuständigkeitsprüfung dient dem Ziel, das Verfahren in jenem Staat abzuwickeln, wo erstmals EU-Gebiet betreten wurde und von dort möglichst weiter in die Peripherie der EU zu verlagern. Asylverfahren sollen möglichst schon in sogenannten sicheren Drittstaaten stattfinden. Die in den Verfahren ermittelte Zuständigkeit eines Landes wäre künftig zwingend, es läge nicht mehr im Ermessen eines Landes, diese zu übernehmen. Noch nach Jahren müsste im Erkennensfall ein Geflüchteter zurückgeschickt werden. Integration würde zur Glückssache. Auch die Entscheidung Deutschlands im Jahr 2015, hunderttausende Flüchtlinge nicht zurückzuschicken, sondern ihr Asylverfahren hier abzuwickeln, wäre künftig ein Verstoß gegen EU-Recht. »Als Missbrauch des Asylrechts gilt dann bereits die Ankunft in einem Staat innerhalb der EU«, so Hruschka.

Das künftige europäische Asylrecht, das nach dieser Art von Harmonisierung die individuelle Prüfung von Fluchtursachen zu einer Nebensache macht, wird zugleich die Probleme der EU-Außengrenzenländer verschärfen, wo die meisten Flüchtlinge ankommen. Eine Umverteilung auf andere Staaten ist erst dann vorgesehen, wenn Länder mehr als 150 Prozent einer rein rechnerischen Quote von Flüchtlingen aufgenommen haben. Dass die Umverteilung dann besser funktionieren würde als derzeit, da von avisierten 160 000 Geflüchteten, auf die sich die EU-Länder vor zwei Jahren einigten, gerade mal 30 000 das Land wechselten, ist außerdem nicht anzunehmen.

Während also in Berlin derzeit die Sondierer einer Jamaika-Koalition die Spielräume ihrer politischen Beweglichkeit auch in Sachen Migration und Flüchtlinge ausloten, liegt in Form des Dublin-Entwurfs bereits die Idee eines EU-Asylrechts vor, die das deutsche Asylrecht zur Makulatur machen würde. Ohne die Möglichkeit einer nationalen Gestaltung - denn anders als bisher handelt es sich nicht um Richtlinien, die in nationaler Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Dublin IV hat die Form von Verordnungen, die ohne Einspruchmöglichkeit der Parlamente überall gleichermaßen gelten würden. Eine Ausnahme macht allein die weiterhin gültige Richtlinie zu den Aufnahmebedingungen der Länder, die bekanntlich unterschiedlich sind und in ihrer Hoheit verbleiben, da auch die EU-Kommission sie nicht harmonisieren kann. Allerdings ist vorgesehen, Schutzsuchenden im Falle entdeckter Weiterwanderung aus dem eigentlich zuständigen Land zu sanktionieren; ihnen sollen dann soziale Leistungen gestrichen werden.

Die Berliner Rechtsanwältin Berenice Böhlo sieht in diesem Fall für Deutschland einen Konflikt über das vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Bedarfsminimum heranreifen. Die Anwältin, die in ihrer Praxis viele von der Dublin-Regelung betroffene Geflüchtete berät, widerspricht in der Informationsveranstaltung der These von der Flüchtlingskrise in Europa. Womit man es derzeit zu tun habe, sei vielmehr eine Krise des Flüchtlingsschutzes. Schon jetzt sind nach ihrer Schilderung die Dublin-Verfahren ein Moloch an juristischem Aufwand. Mit einem Ergebnis von gerade mal 2000 Rückführungen von Betroffenen im Jahr.

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