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  • Stolpersteine in Berlin

Wunden im Gehweg

Zahl der geschändeten Mini-Denkmäler in Berlin-Neukölln erhöht sich auf 16

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Montagvormittag hatte Jürgen Schulte von der AnwohnerInneninitiative »Hufeisern gegen rechts« die Polizei alarmiert, weil alle sieben in der Hufeisensiedlung Britz zum Gedenken an antifaschistische WiderstandskämpferInnen gegen den Nationalsozialismus verlegten Stolpersteine gestohlen worden waren. Daraufhin stellte sich heraus, dass in Neukölln insgesamt zwölf Steine an elf Orten aus dem Gehweg herausgerissen und entwendet wurden. Bis Dienstagabend stieg die Zahl der gestohlenen Gedenksteine auf 13. Die Koordinierungsstelle Stolpersteine teilte mit, dass AnwohnerInnen am Mittwochmorgen drei weitere gestohlene Steine gemeldet haben. Damit erhöht sich die Zahl der geschändeten Mini-Denkmäler auf 16.

Die Behörden vermuten ein politisches Motiv im Zusammenhang mit dem 9. November, dem Gedenktag an die Opfer der Reichspogromnacht von 1938. Eine Spur zu den Tätern gebe es bislang nicht, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch. Dass die meisten Steine rund um die Hufeisensiedlung geschändet wurden, dürfte kein Zufall sein. Seit Monaten häufen sich dort rechtsradikale Aktivitäten bis hin zu Anschlägen auf AntifaschistInnen. Auch die AnwohnerInnen von »Hufeisern gegen rechts« geht von einem politisch rechtsmotivierten Hintergrund der Tat aus. Dafür spreche nicht nur der antifaschistische Hintergrund der Stolpersteinehrungen. »Auch der Zeitpunkt weist darauf hin. Immerhin steht der 9. November kurz bevor.« Die Recherche und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) rief per Kurznachrichtendienst Twitter dazu auf, antisemitische Vorfälle rund um den 9. November unter www.report-antisemitism.de zu melden.

Die Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zeigte sich entsetzt. Wie »Wunden im Gehweg« klafften nun Löcher, wo zuvor noch die Stolpersteine für die Opfer des Nazi-Regimes verlegt waren. Sich am größten Flächendenkmal Europas für die Ermordung der Jüdinnen und Juden und Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer zu vergreifen, sei »an Dummheit, Geschichtsvergessenheit und Menschenverachtung kaum zu überbieten«, teilte sie am Dienstagabend mit. Auch Bernd Szczepanski, Vorsitzender der Grünen-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln, verurteilt den Diebstahl als »unerträgliche Schandtat«, die nicht geduldet werden dürfe. Man werde sich »mit allen Mitteln für eine schnelle Wiederherstellung der Mahnmale einsetzen.«

Nach Angaben von RIAS handelt es sich um die bislang größte Schändung von Stolpersteinen in Berlin. Die Leiterin der Koordinierungsstelle Stolpersteine, Silvija Kavcic, kündigte an, dass die gestohlenen Stolpersteine zeitnah ersetzt werden. Es gebe eine große Spendenbereitschaft.

Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Seit 25 Jahren verlegt er überall dort, wo Menschen von Nationalsozialisten verfolgt wurden, kleine Betonquader mit einer Messingplatte, auf der der Name und das Schicksal der Betroffenen eingraviert ist. Vor dem letzten frei gewählten Wohnort der Verfolgten verlegt er die Stolpersteine in den Gehweg, um an ihr Schicksal zu erinnern. 120 Euro kosten die in Handarbeit gefertigten Mini-Denkmäler. Getragen werden die Kosten meist von Initiativen und Vereinen, teilweise auch von den Angehörigen selbst. Manchmal übernehmen auch die BewohnerInnen der betroffenen Wohnhäuser die Kosten.

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