- Politik
- ÖDP in Bayern
Kleinpartei mit großer Wirkung
In München landete die ÖDP erneut einen Polit-Coup - diesmal in Sachen Kohleausstieg
Wie man Politik macht ohne über einen großen Parteiapparat oder hohe Mitgliederzahlen zu verfügen, das führt seit Jahren in Bayern die ÖDP vor. Mit dem 5. November hat die Öko-Partei erneut einen politischen Coup gelandet: Sie ist einer der Hauptakteure in dem erfolgreichen Bürgerbegehren zur frühzeitigen Abschaltung des Kohlekraftwerks München Nord.
In München agieren die ÖDP und die LINKE im Stadtrat in einer Fraktionsgemeinschaft. Auch im aktuellen Klimabündnis war die bayerische Linkspartei dabei, neben attac München, der DKP und den spät dazugekommenen Grünen. Doch für sich genommen hat es die Linkspartei in Bayern bisher nicht geschafft, ähnliche Erfolge mit direkter Demokratie zu erringen - etwa auf sozialer Ebene. Dabei muss man eingestehen: Von der ÖDP, die derzeit nach eigenen Angaben bundesweit rund 6100 Mitglieder zählt (Stand: Mai 2017), lernen heißt siegen lernen.
Am Vormittag des 5. November, dem Tag des Bürgerentscheids, hätte niemand auf eine Mehrheit für den Ausstieg der Stadt München aus der Steinkohle gewettet. Das Wetter an diesem Sonntag war regnerisch und die Wahllokale waren weit verstreut - wer freiwillig seine Wohnung verließ, musste einen guten Grund haben.
Und die Materie war nicht unkompliziert, viele Wähler erfuhren erst mit Zustellung der Wahlunterlagen von dem Bürgerentscheid. Jene, die trotzdem hingingen, stimmten mehrheitlich für den Ausstieg Ende 2022. Klar gemacht haben das 118 513 Wähler der 1,5 Millionen-Stadt. Der große Rest jenseits der 17,8 Prozent Wahlbeteiligung hatte keine Meinung oder ging nicht wählen. Rechtlich bindend ist der Bürgerentscheid für ein Jahr. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und die Spitze der Stadtwerke wollen nun einen Antrag bei der für eine Abschaltung zuständigen Bundesnetzagentur stellen. Hält die Behörde das Kraftwerk Nord für die Stromversorgung aber für netzrelevant, könnte sie das Abschalten verbieten. rst
Von manchen skeptisch als konservative Grüne betrachtet, hat es die ÖDP in Bayern geschafft, das politische Gefüge mit Bürger- und Volksentscheiden teilweise massiv zu verändern - ohne im Landtag vertreten zu sein. In Sachen Demokratieförderung errang die Partei 1998 ihren größten Erfolg, als sie bei einem bayernweiten Volksentscheid 69,2 Prozent Zustimmung für die Abschaffung des Bayerischen Senats erhielt. Der Senat war die zweite Kammer des Landtages, eine Art Ständevertretung, der Bedeutungslosigkeit nachgesagt wurde. 2009 gelang der Kleinpartei der nächste Coup: 13,9 Prozent der Wahlberechtigten oder fast 1,3 Millionen stimmten in Bayern für das Nichtraucher-Volksbegehren und zwangen die damalige schwarz-gelbe Regierung zum Volksentscheid.
Auch der erfolgreiche Bürgerentscheid zur Steinkohle am vergangenen Sonntag geht zu einem großen Teil auf die Beharrlichkeit der ÖDP zurück. Für ihre Forderung zur Abschaltung des Kohleblocks im Heizkraftwerk Nord ließ sie 2014 sogar ein mögliches Regierungsbündnis mit der SPD und den Grünen im Münchner Stadtrat sausen. Erst Ende Juli 2017 wechselten die Grünen dann die Seiten und stellten sich gegen das Kraftwerk.
Die ÖDP sieht sich selbst als »Partei der Mitte«, ihre programmatische Aussagen sind ein Mix aus Ökologie, Kapitalismuskritik, Demokratieförderung und Familienfreundlichkeit auf bürgerlichen Boden. So kämpft die Partei konsequent gegen Atomkraftwerke. Ihr erstes Mandat errang die Partei 1984 im bayerischen Landkreis Schwandorf, damals Schauplatz der Kämpfe gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage. Im Bundestagswahlkampf 2009 plakatierte die ÖDP als eine der wenigen Parteien direkt das Thema Finanzkrise. Sie wendet sich gegen den Neoliberalismus und vertritt ein Konzept nachhaltigen Wirtschaftens. Für sich selbst wirbt sie mit dem Slogan »Spendenfrei« (von großen Konzernen).
Die ÖDP ist und war quasi der bürgerliche Zweig der Ökologiebewegung. Gegründet wurde sie von dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl, der 1975 mit »Ein Planet wird geplündert« einen ökologischen Bestseller schrieb. Gruhl hatte zusammen mit anderen Aktivisten 1978 die »Grüne Aktion Zukunft«, ein politisches Sammelbecken für die ökologische Bewegung, mitgegründet, das 1979 als »Die Grünen« zur Europawahl antrat.
Ein Jahr später trat Gruhl bei den Grünen aus und gründete 1981 mit anderen die ÖDP - die Grünen waren dem Politiker schließlich in mehreren Bereichen wie Außenpolitik oder Familienverständnis zu links. In den späten 1980er Jahren wurde der Partei vielfach der Vorwurf des Rechtskonservatismus gemacht, was 1989 schließlich zum sogenannten Rechtsabgrenzungsbeschluss führte, mit dem sich die ÖDP gegen Rechtsparteien abgrenzte. Gruhl trat im selben Jahr aus der Partei aus.
Heute wird die Partei der linksbürgerlichen Mitte zugerechnet, ihre Mandatsträger rekrutieren sich häufig aus akademischen Kreisen. Pikanterweise vertritt die Partei heute mit manchen Positionen eine konsequentere (Umwelt-)Politik als die mittlerweile in vielen Bereichen als arriviert und verbürgerlicht angesehenen Grünen.
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