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Rätselraten im Supermarkt
Foodwatch kritisiert fehlende Anstrengungen in Sachen Lebensmittelkennzeichnung
Die Deutschen kaufen gern in Supermärkten und Discountern ein. Außer in der Obst- und Gemüseabteilung gibt es dort fast nur noch verarbeitete Lebensmittel. Das wäre nicht so schlimm, wenn der Kunde auf den ersten Blick erkennen könnte, wie viel von welchen Zutaten drin und wie gesund das gekaufte Essen ist. Denn an der Lebensmittelkennzeichnung hapert es oft. Diese Bilanz zog Foodwatch am Mittwoch - zehn Jahre nachdem die Verbraucherorganisation erstmals Produktbeispiele für »legalen Etikettenschwindel« vorgestellt hatte.
Bis heute seien die Gesetze nicht entscheidend verbessert worden, kritisierte Oliver Huizinga, Foodwatch-Experte für Lebensmittelkennzeichnung. Darunter litten nicht nur die Verbraucher, die kaum feststellen könnten, was sie gekauft haben, sondern auch Qualitätshersteller, die sich nur schwer von Wettbewerbern mit minderwertigeren Produkten abgrenzen könnten. Einzige Entscheidungshilfe für unentschlossene Kunden sei dann oft der Preis, so Huizinga.
Aus Sicht der Verbraucherschützer hakt die Lebensmittelkennzeichnung an vier zentralen Stellen: Erstens sei die von der EU-Kommission auf Druck der Lebensmittelwirtschaft auf Verpackungen festgelegte Mindestschriftgröße von 1,2 mm zu klein, die Angaben durch fehlende Kontraste und falsche Farben für viele Menschen kaum lesbar. In der 2011 von der EU beschlossenen Lebensmittelinformationsverordnung sei zwar festgelegt, dass die EU-Kommission auch Vorschriften zur Lesbarkeit vorlegen muss, bis heute sei das jedoch nicht geschehen. Die Verbraucherschützer fordern eine Mindestschriftgröße von 2,5 mm - orientiert an Vorschlägen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft würden sonst viele Menschen von wichtigen Informationen ausgeschlossen, so Huizinga.
Punkt zwei der Kritik bezieht sich auf die Nährwertkennzeichnung. Zu kompliziert, zu unübersichtlich, lautet der Vorwurf an die Industrie - aber auch an die Politik. Die wehre sich seit Jahren gegen die von Verbraucherschützern geforderte Nährwertampel, die durch ein Farbschema schnell über Inhaltsstoffe und mögliche Gesundheitsrisiken informiere. In anderen Ländern sei man schon viel weiter, so Huizinga. In Frankreich können Firmen seit November Produkte mit einem wissenschaftlich ermittelten Code kennzeichnen. Lebensmittel werden - ja nach Fett-, Zucker- und Salzgehalt - von dunkelgrün bis dunkelrot bewertet. Negativpunkte zählten mehr als positive, so könne Schokolade kein »grün« bekommen, da sie immer viel Fett und Zucker enthalte.
Große französische Handelsunternehmen wie Intermarché hätten das System freiwillig eingeführt, teils auch Rezepturen verändert, sagte Huizinga. Doch verpflichtend kann der Vorstoß nicht werden, das verbietet das EU-Lebensmittelrecht. Bei Exporten wäre sonst Chaos vorprogrammiert. Und auf ein EU-weit einheitliches Kennzeichnungsrecht können sich die Mitgliedsländer seit Jahren nicht einigen, neben Deutschland blockiert auch Italien das Ampelsystem. Um den Flickenteppich komplett zu machen entwickeln die »Großen 6« der Lebensmittelindustrie - Coca Cola, Pepsi, Mondelēz, Nestlé, Unilever und Mars - derzeit ein eigenes Farbsystem für den europäischen Markt.
Ebenfalls keine Verbesserungen sieht Foodwatch bei den Herkunftskennzeichnungen. Zwar müssen Hersteller seit sechs Jahren angeben, woher ihre Produkte kommen, das gilt aber nur für unverarbeitete Lebensmittel wie Fleisch. Schon wenn nur Salz hinzukommt, muss die Herkunft nicht mehr auf der Packung stehen. In einigen EU-Ländern gibt es strengere Regelungen, aber auch hier ist Deutschland nicht unter den Vorreitern, obwohl es aus dem Bundesagrarministerium durchaus wohlwollende Aussagen gab.
Auch bei gesundheits- oder nährwertbezogenen Aussagen auf Lebensmitteln liegt laut Foodwatch Einiges im Argen: So dürfen die Produzenten zwar nur noch mit Vitamin- und anderen Zusätzen werben, wenn diese wissenschaftlich überprüft wurden. Doch auf welchen Produkten geworben werden darf, ist EU-seitig nicht festgelegt. So finden Verbraucher weiter vitaminisierte Wurst im Kühlregal; dass sie viel Fett und Salz enthält, kann bei solchen legalen Werbelügen leicht vergessen werden. Die dreisteste kürt Foodwatch Ende November, dann endet die Abstimmung zum »Goldenen Windbeutel«.
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