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Das neue jüdische Berlin erkunden
Die Ausstellung »L'Chaim - Auf das Leben!« porträtiert den Alltag von jüdischen Berlinern
»Mein jüdischer Alltag ist in erster Linie das Gemeindeleben«, sagt Nina Peretz. Die 34-Jährige ist regelmäßige Beterin in der Synagoge am Fraenkelufer in Kreuzberg, in der der Gottesdienst nach orthodoxem Ritus abgehalten wird. 2015 gründete sie den Verein »Freunde der Synagoge Fraenkelufer«, der sich neben Gemeindeaufgaben auch der Nachbarschaftsarbeit mit Schulklassen im Kiez widmet. Im Mai dieses Jahres wurde Peretz zum ersten weiblichen Vorstandsmitglied (Gabbait) ihrer Synagoge gewählt.
»Mir ist es wichtig, unsere Synagoge und unsere Gemeinde mit Leben zu erfüllen, damit jüdisch-religiöses Leben auch in Zukunft seinen festen Platz in Kreuzberg haben wird«, sagt Peretz, die hauptberuflich in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei einem Berliner Wohlfahrtsverband tätig ist. Die junge Frau stammt gebürtig aus Tübingen und ist mit einem Israeli verheiratet. 2011 konvertierte Peretz zum Judentum.
Ihr Lebensweg ist eine von 37 jüdischen Biografien, die die Ausstellung »L’Chaim - Auf das Leben!« derzeit in der Wandelhalle des Abgeordnetenhauses zeigt. Konzipiert wurde die Schau von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA). Der Anspruch: Den Alltag, die Gedanken und Gefühle von Jüdinnen und Juden zu porträtieren und der Öffentlichkeit vorzustellen, die Berlin heute als ihre Heimat bezeichnen.
Vom traditionellen Gemeinderabbiner aus New York über eine ehemals kommunistische Jüdin aus der DDR bis zum Gangsterrapper, dessen Familie aus der Ukraine stammt, ist alles vertreten. Dieser bunte Querschnitt macht deutlich: So vielfältig Berlin ist, so unterschiedlich entfaltet sich auch das jüdische Leben in der Stadt.
»Mit der Ausstellung wollen wir möglichst die gesamte Bandbreite jüdischen Lebens in der Gegenwart Berlins reflektieren«, sagt Joachim Seinfeld. Zusammen mit seinem Kollegen Lukas Welz hat er die Ausstellung im Auftrag der KIgA konzipiert.
In unzähligen Gesprächen befragten die beiden die Porträtierten nach ihren Bezügen zu Berlin, zu ihrem Beruf, ihrer Sozialisation oder auch nach ihrem Verhältnis zur Religion. Herausgekommen sind rund 120 Minuten Filmmaterial, das in der Ausstellung in thematisch gegliederten Videosequenzen gezeigt wird. Untertitel gibt es auf Englisch und Arabisch. Dazu gibt es einführende Texte, ein Glossar mit Begriffsklärungen sowie eine Berlinkarte, in der die in der Ausstellung erwähnten Orte eingetragen sind.
»Mit L’Chaim richten wir uns insbesondere an Menschen, die bisher wenig oder gar nichts über die Vielfalt jüdischen Lebens wissen oder vielleicht nur Vorurteile kennen«, sagt Dervis Hizarci, Vorstandsvorsitzender der KIgA. Sein Verein habe schon seit Langem vorgehabt, den kulturellen Bereich in die pädagogische Präventionsarbeit zu integrieren. »Es freut mich, dass es ausgerechnet mit einer Ausstellung zu diesem speziellen Thema dazu gekommen ist«, sagt Hizarci.
Die Ausstellung soll an insgesamt sechs Orten in Berlin gezeigt werden und damit gezielt Menschen erreichen, die sich bisher nicht oder kaum mit jüdischem Leben auseinandergesetzt haben.
Eine der Hauptzielgruppen sind Jugendliche und Schulklassen, in denen viele Schüler einen Migrationshintergrund haben oder aus Geflüchtenfamilien stammen. Zur Ausstellung gibt es eine Online-Plattform, die pädagogisches Material für schulische und außerschulische Bildung in den Themenbereichen Judentum, Antisemitismus und multikulturelles Zusammenleben bereithält. So soll es auch Schulen außerhalb Berlins möglich gemacht werden, mit der Ausstellung zu arbeiten.
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