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- Polizeieinsatz nach Fußballspiel
Menschenrechtsgericht: Behörden ermittelten unzureichend
Zwei durch Polizeigewalt verletzte Männer sollen 2000 Euro Schmerzensgeld erhalten / Straßburger Richter rügen Aufarbeitung bei Münchner Polizei
Straßburg. Im Rechtsstreit um einen Polizeieinsatz nach einem Fußballspiel in München hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zwei Männern teilweise Recht gegeben, die nach eigenem Bekunden von Polizisten mit Schlagstöcken und Pfefferspray misshandelt wurden. Die Straßburger Richter rügten am Donnerstag die Ermittlungen über die Klagen der Männer als unzureichend. Deutschland wurde angewiesen, den beiden 48 und 28 Jahren alten Klägern jeweils 2000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen.
Einen Verstoß gegen das Verbot von Folter oder unmenschlicher Behandlung durch Polizisten stellte das Gericht aber nicht fest. Dafür gebe es keine ausreichenden Beweise.
Für das Fußballspiel am 9. Dezember 2007 hatte die Polizei mit Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Fangruppen gerechnet. Daher waren über 200 Polizisten im Einsatz. Sie bildeten nach der Partie eine Kette, um Zusammenstöße zu verhindern. Nach Angaben der Kläger griff eine Gruppe von Polizisten nach Öffnung der Kette Fußballfans mit Schlagstöcken und Tränengas an.
Der 48-Jährige wurde nach eigenen Angaben mit einem Schlagstock am Kopf verletzt und musste notärztlich behandelt werden. Der jüngere Kläger gab an, ein Polizist habe ihm Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht und mit einem Schlagstock auf den Arm geschlagen. Nach kritischen Medienberichten über den Polizeieinsatz wurde ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet - und neun Monate später zu den Akten gelegt.
Die beiden Beschwerdeführer erstatteten einige Monate nach dem Fußballspiel Anzeige. Darauf leitete die Staatsanwaltschaft neue Ermittlungen ein, die im August 2009 ebenfalls eingestellt wurden. Zur Begründung hieß es, die Aggression sei nicht von den Polizeibeamten ausgegangen, sondern von einzelnen Fangruppen. Das Bundesverfassungsgericht nahm eine Beschwerde der beiden Kläger im Jahre 2015 nicht an.
Der Gerichtshof für Menschenrechte stellte nun fest, die Kläger hätten zwar ärztliche Atteste vorgelegt. Aus diesen gehe aber nicht hervor, wer für ihre Verletzungen verantwortlich war. Zudem hätten sie erst mehrere Monate nach den Vorfällen Anzeige erstattet. Unter diesen Umständen sei der Gerichtshof nicht in der Lage, festzustellen, ob die Vorwürfe gegen die Polizisten fundiert waren.
Die Straßburger Richter rügten aber zugleich die Ermittlungen. Diese seien von der Münchner Polizei vorgenommen worden statt von einer unabhängigen Polizeibehörde.
Weiter hieß es, die an dem Einsatz beteiligten Polizisten hätten Helme getragen, zudem habe es auf ihren Uniformen weder Namen noch Identifikationsnummern gegeben. Unter solchen Umständen seien andere Maßnahmen zur Identifizierung der Einsatzpolizisten besonders wichtig, etwa Videoaufzeichnungen. Die deutschen Behörden hätten aber nicht klar gemacht, welches Videomaterial analysiert wurde - und von wem. Auch seien nicht alle Polizisten vernommen worden, die an der fraglichen Stelle im Einsatz waren, monierte das Gericht.
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein zeigte sich erfreut über die Entscheidung. »Ganz herzlichen Glückwunsch an die RAV-Kolleg_innen Anna Luczak und Marco Noli«, hieß es auf Twitter mit dem Zusatz: »Fehlende Kennzeichnungspflicht bedeutet faktische Straflosigkeit.«
Das Urteil wurde von den sieben Richtern einer kleinen Kammer einstimmig gefällt. Dagegen können beide Parteien binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Der Gerichtshof kann den Fall dann zur Überprüfung an die Große Kammer verweisen - er muss dies aber nicht tun. AFP/nd
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