Weltwirtschaftsordnung und Fußball

Christoph Ruf ärgert, dass in einigen unteren Ligen die Saison schon wieder gelaufen ist - und stellt die Schuldfrage

Es ist wohl etwas zu abstrakt, wenn man davon schreibt, dass eine Schere auseinandergeht, dass Reiche immer reicher werden, Arme immer ärmer und so fort. Im Fußball wie im echten Leben erntet man da ein Schulterzucken. Ist halt so. Dass ein Glas auf den Boden fällt und höchstens im Horrorfilm mal gruselig herumschwebt, ehe es am Boden zerschellt, ist ja auch so. Schwerkraft eben. Spannender wird die Diskussion, wenn man darüber berichtet, wie Hartz-IV-Empfänger darum kämpfen müssen, ihre Mietkosten erstattet zu bekommen: wenn das Amt gerne hätte, dass man in eine um 30 Euro billigere Wohnung zieht, es eine solche Wohnung aber in der ganzen Stadt nicht gibt. So etwas finden viele Menschen dann doch merkwürdig.

Beim Fußball sind die Mechanismen genau so wie gerade beschrieben. Dass es nicht sonderlich gerecht ist, wenn die immer gleichen Vereine in der Champions League Millionen scheffeln, während schon bei vielen Klubs in der Regionalliga der Kassierer dem Trübsinn verfällt, wenn wegen des schlechten Wetters 30 Zuschauer weniger kommen. All das weiß man und würde es, wenn man gefragt würde, auch gerne geändert sehen. Ansonsten: siehe Schwerkraft und Weltwirtschaftsordnung.

Sonntagsschuss
Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Konkreter wird das mit der Schere im Fußball allerdings, wenn man sich das - sorry, deutsche Nationalmannschaft - an fußballfreien Wochenenden mal mit der Lage in den unteren Ligen befasst. Nehmen wir die Oberliga Westfalen, die fünfthöchste deutsche Spielklasse. Dort sind Mitte August 18 Vereine gestartet, um auszuspielen, wer am Ende auf- und wer absteigt. Doch die allermeisten Vereine können jetzt schon die Saison mit halber Kraft zu Ende spielen. Es sei denn, sie wollen aufsteigen, was in den vergangenen Jahren bei wenigen Oberligisten der Fall war - denn die Regionalliga, in die man aufsteigen würde, kann man sich ohne Sponsoren größeren Kalibers nicht leisten. Wer aber nur die Klasse halten will, für den ist die Saison gelaufen. Denn mit dem TSV Marl-Hüls und der SC Hassel stehen bereits die Absteiger fest. Die beiden Vereine haben sich gerade vom Spielbetrieb abgemeldet. Sie können die Gehälter nicht mehr bezahlen, haben sich verrechnet, vielleicht auch verzockt.

Für beide ist jetzt Schluss. Für die anderen Klubs geht es also um nichts mehr, den Konkurrenten, die gegen Hassel gewonnen haben, werden drei Punkte abgezogen, diejenigen, die verloren haben, lachen sich ins Fäustchen. Und noch mehr Zuschauer werden wegbleiben.

Nun muss man sich natürlich fragen, welchen Anteil die Pleitevereine selbst an dem Desaster haben. Wer im November merkt, dass zu wenige Zuschauer kommen und noch viel weniger Sponsoren, der hat auch schon im Juli gewusst, dass es eng wird. Das Motto »Augen zu und durch« mag sympathisch sein, wenn es um die eigenen Augen geht. Wer aber mit den Jobs der Spieler zockt, die jetzt in der Regel keinen neuen Verein mehr finden, der ist verantwortungslos. Welches Attribut aber findet man für Fußballverbände, die solch ein Wirtschaften zulassen? Es geht ja gar nicht darum, in der fünften Liga ein so aufwendiges Lizenzierungsverfahren durchzuführen wie im Profifußball. Aber es sollte doch wohl möglich sein, bei jedem einzelnen Oberligisten im Sommer nachzufragen, wie der Etat abgesichert ist. Und wenn als Sponsor nur die KfZ-Werkstatt aus dem Nachbardorf angegeben wird oder der Zuschauerschnitt von einem Tag auf den anderen um den Faktor 10 steigen soll, dann wird wohl etwas nicht stimmen.

Es wird in dieser Saison im übrigen noch einige Dutzend weitere Abmeldungen geben und meistens liegt das keineswegs an verantwortungslosen Vereinsbossen, sondern an der blöden Sache mit der Schere. Unten bleibt einfach zu wenig hängen. Manchmal sogar so wenig, dass die Zuschauereinnahmen geringer ausfallen als die Strafgebühren, die Amateurvereine an den jeweiligen Landesverband des DFB bezahlen müssen - wenn sie beispielsweise nicht genügend Schiedsrichter abstellen. Ein paar verregnete Heimspiele, ein wichtiger Spieler, der sich verletzt - es kann schnell passieren, dass ein über 100 Jahre alter Verein wieder bei Null anfangen muss.

War sonst noch was? Aber ja doch. Señor Neymar soll sich bei Paris St. Germain nicht mehr so recht wohlfühlen. Da helfen auch die über drei Millionen Euro nicht, die er dort verdient. Ohne Prämien und monatlich, versteht sich.

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