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  • Polizeigewalt vor Gericht

»Institutionelle Verbindungen« schützen deutsche Polizisten

Der EGMR beanstandet die polizeiliche Straflosigkeit und rät zu unabhängigen Untersuchungsstellen

  • Matthias Monroy
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die deutsche Polizei wegen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilt. Der nun verhandelte Vorfall ereignete sich bereits in 2007. Damals waren die Fußballfans Ingo Hentschel und Matthias Stark beim Verlassen eines Münchener Stadions an der Grünwalder Straße von Polizisten verletzt worden. Einer der Kläger wurde mit einem Schlagstock auf den Kopf geschlagen, der andere mit Pfefferspray traktiert. Weder auf der Uniform, noch auf dem Helm trugen die Beamten Identifizierungsmerkmale. Die für den Übergriff in Betracht kommenden Einheiten, ein Personenkreis von rund 30 Beamten aus zwei Hundertschaften des bayerischen USK, wurden nicht zu dem Sachverhalt vernommen. Dies führte dem EGMR zufolge zur praktischen Straflosigkeit.

Die deutsche Koordinationsgruppe Polizei und Menschenrechte von Amnesty International begrüßt das Urteil und erinnert an die unmögliche Strafverfolgung von Polizeibeamten in acht Bundesländern. Nur Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben eine Kennzeichnungspflicht eingeführt. Eine entsprechende Regelung für Bereitschaftspolizisten und Alarmeinheiten in Nordrhein-Westfalen hat die neue schwarz-gelben Regierung mit den Stimmen der AfD wieder abgeschafft.

In ihrer einstimmigen Urteilsbegründung schreiben die Straßburger Richter auch von dem Versäumnis, das gesamte Videomaterial des Übergriffs zu sichern und dessen Bearbeitung durch die Beamten zu dokumentieren. Erst ein Jahr nach ihrer Strafanzeige erhielten Hentschel und Stark eine DVD mit Videoclips, die allerdings an entscheidenden Stellen Lücken enthielt. Alle Originale wurden anschließend gelöscht. Marco Noli, der Anwalt der Betroffenen kritisiert dies als Vernichtung von Beweismitteln während laufender Ermittlungen.

Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität in Bochum, macht auf einen weiteren Aspekt des Urteils aufmerksam. Treffe der Staat keine Vorkehrungen zur Identifizierung seiner Beamten, müsse dies bei der Verfolgung von Vorwürfen wie Körperverletzung im Amt »durch ganz besondere Ermittlungsanstrengungen hinreichend unabhängiger Strafverfolgungsinstanzen ausgeglichen werden«. Die Vorwürfe gegen die beteiligten USK-Einheiten wurden jedoch von der Münchner Polizei und damit von Kollegen bearbeitet, was vor allem im Hinblick auf das gelöschte Videomaterial problematisch ist. Daran stört sich der EGMR jedoch nicht grundsätzlich, kommentiert Eric Töpfer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Allerdings mache das Gericht deutlich, dass - anders als von der Bundesregierung immer behauptet - allein die Sachleitung der Staatsanwaltschaft keine unabhängige Untersuchung von Polizeigewalt gewährleiste.

Vielleicht ist es diese wachsweiche Formulierung der kleinen Kammer des EGMR, das den aserbeidschanischen Richter Latif Hüseynov zu einem Sondervotum veranlasste. Laut Hüseynov ist wegen »institutioneller Verbindungen« unter den deutschen Beamten keine Objektivität bei Ermittlungen zu erwarten. Er fordert deshalb unabhängige Untersuchungsstellen. Gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen und unter Beifall der Polizeigewerkschaften hatte die Bundesregierung im Juni die Einrichtung eines solchen unabhängigen Bundespolizeibeauftragten abgelehnt. Der Richterspruch aus Straßburg hat deshalb grundlegende Bedeutung für die Ahndung von Polizeigewalt in Deutschland. Beide Parteien können binnen drei Monaten Rechtsmittel dagegen einlegen.

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