Die Pfefferminzbahn soll rollen

Thüringen: Bürger wehren sich gegen Stilllegung einer Teilstrecke nördlich von Erfurt

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Pfefferminzbahn - das klingt nach orientalischer Handelsstraße, nach dem ausgehenden 19. Jahrhundert, nach Aufschwung und Größe und Wohlstand. Und manche Menschen in Mittelthüringen messen ihrer Pfefferminzbahn auch heute noch einen ähnlich großen Stellenwert zu. Wie die Familie Jung. Auch wenn die Thüringer Pfefferminzbahn nur im entferntesten Sinne etwas mit einer orientalischen Handelsstraße zu tun hat und sie im 21. Jahrhundert nicht mehr wirklich viel mit Aufschwung und Größe und Wohlstand verbindet. Nun droht einem Teil der Strecke, die heute zwischen den Orten Straußfurt und Großheringen verläuft, in etwa vier Wochen die Stilllegung.

Früher einmal, da war das freilich anders. Da war auch die Thüringer Pfefferminzbahn eine Handelsroute, die sich zu einer Lebenslinie für eine gesamte Region entwickelte. Ungefähr in der Mitte der Strecke liegt die Stadt Kölleda, die Ende des 19. Jahrhunderts ein Zentrum für den Anbau von Kräutern in Deutschland war, darunter auch Pfefferminze. Ein nicht kleiner Teil davon wurde über die Bahnstrecke abtransportiert, woher die Bahn bis heute ihren Namen hat.

Doch die Zeit blieb auch in Mittelthüringen nicht stehen. Auch hier hat das Auto den Zug längst als das bevorzugte Transportmittel der meisten Menschen verdrängt. Die Region nördlich von Erfurt ist geradezu ein Musterbeispiel für das ist, was man den ländlichen Raum nennt: Eben weil so viele Menschen Auto fahren, sinken vielerorts die Fahrgastzahlen der öffentlichen Verkehrsmittel. Und weil die Fahrgastzahlen sinken, wird das Bus- und Bahnangebot noch weiter ausgedünnt, da es für die öffentliche Hand bezogen auf immer weniger Fahrgäste einfach zu teuer ist, es zu erhalten. Was dazu führt, dass noch mehr Menschen auf das Auto umsteigen, noch weniger Menschen Bus und Bahn fahren, das Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs noch weiter ausgedünnt wird.

Bei der Pfefferminzbahn sieht das so aus: Auf dem Streckenabschnitt der Linie zwischen Buttstädt und Großheringen waren nach Angaben des Thüringer Verkehrsstaatssekretärs Klaus Sühl (LINKE) zuletzt nur noch 50 bis 100 Reisende unterwegs gewesen. Pro Tag. Das, sagt er, entspreche drei bis sechs Fahrgästen pro Zug. Es sei wirtschaftlich nicht vertretbar, für so wenige Reisende weiterhin mehrere Millionen Euro pro Jahr auszugeben. Weshalb das Land für diesen Teilabschnitt der Pfefferminzbahn keine weiteren Züge bestellt hat, der Verkehr auf diesem Abschnitt im Dezember eingestellt werden soll. Wolle man auch auf dieser Teilstrecke das Zugangebot wie bislang aufrecht erhalten, koste das bis Mitte der 2020er Jahre etwa 18 Millionen Euro zusätzlich, sagt Sühl.

Womit wir bei Familie Jung wären und denen, die noch als aktive Fahrgäste einer Linie auf der Strecke bleiben, wenn Bus- und Bahnangebote im ländlichen Raum ausgedünnt werden. Elke-Martina Jung etwa arbeitet an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und nutzt die Bahn, um von ihrem Heimatort Bad Sulza zur Hochschule zu kommen. Damit hat sie auch einen ganz persönlichen Grund, sich in einer Art kleinen Bürgerinitiative für den Weiterbetrieb der Bahn auf der Gesamtstrecke einzusetzen. Bis vor den Petitionsausschuss des Landtages hat sie diese Forderung schon getragen, unterstützt von so manchem aus der Region.

Aus einer Anhörung vor dem Gremium schöpft die junge Frau nun Hoffnung - und ist gleichzeitig nicht erfreut, dass eine andere Initiative jetzt versuchen will, per Crowdfunding genau die 18 Millionen Euro auszutreiben, die Sühl als Fehlbetrag für die nächsten Jahre genannt hat. Damit sende diese Initiative ein falsches Signal, sagt Jung. »Einerseits ist es eine Aufgabe der Regierung, den Personennahverkehr mit der Bahn sicherzustellen und damit den ländlichen Raum zu stärken.« Andererseits habe Sühl diese Zahl einfach »in den Raum geworfen«. Sie sei durch nichts zu untermauern.

Somit ist die Diskussion um die Pfefferminzbahn auf einer Ebene angelangt, auf der solch Streit häufig landet, wenn nichts mehr geht: Menschen, die die Bahn erhalten wollen, werfen der Landesregierung vor, überhaupt keine Ahnung zu haben, mit falschen, angeblich unzulänglichen Fahrgastzahlen zu rechnen. Sühl und die seinen beharren darauf, man müsse das große Ganze im Blick behalten. Das klingt nach einem nicht zu lösenden Konflikt.

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